30. Mai 2022
Ein Penny für einen Präsidenten
Zum 100. Jahrestag des Lincoln Memorial
Als der Lincoln Cent, wie der amerikanische Penny offiziell genannt wird, im Jahr 1909 ins Münzsystem der Vereinigten Staaten eingeführt wurde, hätte sicherlich niemand daran gedacht, dass sich die Bedeutung der kleinen, mit Kupfer platinierten Zinkmünze über die Jahrzehnte grundlegend verändern würde. Ursprünglich vom Medailleur Augustus Saint-Gaudens entworfen und, nach dessen Tod im Jahr 1907, schlussendlich von Victor David Brenner vervollständigt, war der Lincoln Cent bis ins frühe 21. Jahrhundert die kleinste relevante Münze des US-Dollar. Anlässlich des 100. Geburtstags des 16. US-Präsidenten Abraham Lincoln wurde 1909 die Erneuerung des „Indian Head Cent“, wie der Penny aufgrund seiner Gestaltung vorher hieß, vorgenommen. Bis heute zeigt der Penny das Porträt Lincolns auf der Vorderseite, während die Rückseite einige Veränderung erfahren hat. So zeigte sie bis 2008 das Lincoln Memorial in Washington, welches am 30. Mai 2022 sein 100-jähriges Bestehen feiert, was einen trefflichen Anlass bietet, sich die Währungsgeschichte der kleinen Münze mit dem berühmten Präsidenten einmal näher anzuschauen.
Ursprünglich zeigte der Lincoln Cent im Jahre seiner Einführung auf der Rückseite noch zwei Weizenähren, was ihm den Beinamen „Wheat Cent“ einbrachte. 1959 wurde, zu Ehren des 150. Geburtstags Lincolns, das Memorial auf der Rückseite übernommen. Im Jahr 2005 erließ die amerikanische Regierung den „Presidential $1 Coin Act“, welcher, neben vier Sonderausgaben anlässlich des kommenden 200. Geburtstags Lincolns im Jahr 2009, eine grundlegende Umgestaltung der Rückseite der kleinen Münze vorsah. Mit den vier Sonderausgaben sollten einzelne Lebensstationen des Präsidenten gewürdigt werden, während das Lincoln Memorial von der Münze verschwinden und durch den „Union Shield“ ersetzt werden sollte. Dies hatte allerdings keineswegs den Grund, dass die Gedenkstätte nicht angemessen erschien, es sollte vielmehr signalisiert werden, dass die gesamte Nation, dank Lincoln, geeint zusammenstünde. Dies wird noch durch die, seit 1959 auf der Münze zu findenden, Umschrift „E PLURIBUS UNUM“ deutlich.
Obwohl der Lincoln Cent die meist geprägte Münze im US-Münzsystem ist, steht sie seit Jahren im Fokus von kritischen Stimmen, die in ihr eher eine Form der öffentlichen Geldverschwendung sehen. Dies ist nicht ganz unberechtigt, da die Produktionskosten den Nominalwert und die wirtschaftliche Kaufkraft längst übersteigen. Es ging im Jahr 2011 so weit, dass der einzelne Cent bis zu 2,41 Cent in der Herstellung kostete. Obwohl sich diese Situation auf aktuelle Kosten von 1,99 Cent pro produzierter Münze reduziert und damit gebessert hat, werden die Stimmen derer, die eine Abschaffung des Lincoln Cents fordern, nicht geringer. Immerhin zeigen repräsentative Umfragen in den Vereinigten Staaten, dass kaum Bürger die kleine Münze überhaupt verwenden, geschweige denn verwenden würden, selbst wenn die Münze verschenkt würde. Ebenso ist es privaten Unternehmen inzwischen freigestellt, ob der Penny im Zahlungsverkehr überhaupt akzeptiert wird. Die Regierungen der Vereinigten Staaten geben also seit Jahren viel mehr Geld für die Produktion der Münzen aus, als diese je einbringen würden. Bemühungen um die Abschaffung des Lincoln Cent sind bisher nicht nur an bürokratischen Entscheidungen, sondern auch an einer starken Lobby gescheitert, die sich an relevanten Stellen für den Erhalt des 16. Präsidenten im Kleinstformat einsetzt, sei es die „Abraham Lincoln Association“ oder die, tatsächlich so genannte, Gruppierung „Americans for Common Cents“.
Bisher konnte sich keine der Stimmen, die eine Abschaffung fordern, hinreichend durchsetzen, obwohl selbst die United States Mint (Bundesbehörde, die vor allem für die Prägung des US-Dollars zuständig ist) verlauten ließ, dass es keine bessere Methode oder kostengünstigeres Material gäbe, um die Produktion des Cents erschwinglicher zu gestalten. Der Kupfergehalt war seit den 1940er Jahren aufgrund steigender Metallpreise drastisch reduziert und, abseits eines Experiments mit Aluminium im Jahr 1973, stetig durch Zink ersetzt worden. Exemplare aus Aluminium finden sich heutzutage nur noch in wenigen Sammlerbeständen, da diese nie dem offiziellen Markt zur Verfügung gestellt wurden. Seit den 1980ern ist der Kupferanteil auf die Platinierung reduziert worden, wodurch der Bestandteil an Zink aktuell bei 97,5 % liegt.
Nun dürfen die historischen Errungenschaften des 16. Präsidenten nicht ignoriert werden, welche mitunter als Hauptargumente angeführt werden, den Lincoln Cent zu behalten. Neben der Tatsache, dass der Cent verbreiteter ist als jede andere Münze des US-Dollar, erwies sich Lincolns Einsatz während des amerikanischen Bürgerkriegs als so nachhaltig, dass selbst Martin Luther King sich am 28. August 1963 in seiner berühmten Rede „I have a dream“ zu Füßen des Lincoln Memorial positiv auf den Präsidenten bezog und seinen Einsatz für die Befreiung der afroamerikanischen Bevölkerung aus der Sklaverei würdigte. Abseits von seinem Einsatz für Gerechtigkeit setzte sich Lincoln für die Umwandlung der Union in einen zentral regierten Industriestaat ein, welche die Grundlage für den amerikanischen Wohlstand und den Aufstieg zur Weltmacht im 20. Jahrhundert zementierte. Überraschend ist es da nicht, dass diese Ikone der amerikanischen Geschichte gerade jene Münze schmückt, welche häufiger im Umlauf ist als jede andere. Allerdings würde es des Lincoln Cents zur Erhaltung der Würdigung nicht bedürfen, da der Präsident sich noch an anderer Stelle in der amerikanischen Währungsgeschichte wiederfinden lässt. Seit 2007 ziert sowohl das Porträt Lincolns als auch das Memorial die Fünf-Dollar-Note und ist damit in einer ähnlichen Größenordnung im Umlauf zu finden wie der Lincoln Cent. Feierlich eingeführt wurde der Geldschein am 13. März 2008 im National Monument „President Lincoln Cottage“ in Brookland, einem Teil von Washington DC. Die Rückseite der Note zeigt bis heute das Lincoln Memorial, allerdings bei einzelnen Ausgaben in veränderter Form. So sind sowohl die Rede Kings, als auch das 1939 am Memorial stattgefundene Konzert der ersten afroamerikanischen Opernsängerin, Marian Anderson, zusätzlich dargestellt zu sehen.
Somit wäre Lincoln vor seiner Vertreibung aus der Währungsgeschichte des US-Dollar geschützt, selbst wenn der Cent eines Tages tatsächlich abgeschafft werden sollte. Ob dies je stattfinden wird, steht allerdings in den sprichwörtlichen Sternen. Vielleicht wird man im Jahr 2109, anlässlich des 300. Geburtstags Abraham Lincolns, auf diese Bemühungen zurückkommen oder eine neue Sonderserie von Cent-Münzen prägen. Bis dahin wird die kleine Zinkmünze ihren größeren und wertvolleren Verwandten mit hoher Wahrscheinlichkeit erhalten bleiben. Das Denkmal für den großen Präsidenten wird, auch ohne Münze, weiterhin Besucherinnen und Besucher aus aller Welt anziehen – immerhin bis zu 7 Millionen Menschen im Jahr.