30. April 2020
Schein gehabt!
Die Harzer Walpurgisnacht auf Notgeldscheinen
#closedbutopen
Die Nacht vom 30. April zum 1. Mai ist die Walpurgisnacht. Hexen fliegen auf ihren wendigen Besen zum Brocken oder Hexentanzplatz und treffen sich zum Hexensabbat. Dies ist literarisch seit dem 15. Jahrhundert tradiert. Nach Johannes Praetorius popularisierte vor allem Johann Wolfgang von Goethe die besondere Nacht im ersten Teil des Faust. Er ließ Mephisto rufen:
Da seh' ich junge Hexchen, nackt und bloß,
Und alte, die sich klug verhüllen.
Seid freundlich, nur um meinetwillen;
Die Müh ist klein, der Spaß ist groß …
Man tanzt, man schwatzt, man kocht,
man trinkt, man liebt;
Nun sage mir, wo es was Bessers gibt?
Johann Wolfgang von Goethe, Faust I
Bild rechts: Elfter Holzschnitt aus dem Buch Walpurgisnacht mit Holzschnitten von Ernst Barlach nach dem Text aus Goethes Faust I, 1922/23, Foto: als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons, commons.wikimedia.org/wiki/File: Goethe,Barlach,Walpurgisnacht,_Hexenritt.jpg
Auch die Gebrüder Grimm prägten in ihren Märchen wie in Hänsel und Gretel unser Bild von Hexen. Heute ist die Walpurgisnacht eines der größten Frühlingsfeste. Sie ist zu einem Sinnbild des Harzes geworden.
Ihr Ursprung liegt in grauer Vorzeit. Der Name leitet sich von der Heiligen Walburga ab, die im 8. Jahrhundert lebte und an einem 1. Mai um 870 heilig gesprochen wurde. Der Tanz in den Mai erinnert zugleich an dem spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Aberglauben von den bösartigen Hexen, die mit dem Teufel tanzen. Erst in der Aufklärung wurde in Mitteleuropa ihre Verfolgung aufgegeben. In Afrika oder am Persischen Golf führt der Aberglaube bis heute zu Justizverbrechen. Ein illustriertes Flugblatt aus dem späten 17. Jahrhundert in der Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) macht die Irrationalität dieser Vorstellungswelt deutlich.
Im 20. Jahrhundert erfuhr der Hexenbegriff im abendländischen Kulturraum einen grundlegenden Wandel. Dazu dürfte das 1921 von Alice Murray herausgegebene Buch über den europäischen Hexenkult beigetragen haben. Hexen wurden im Verlauf der esoterischen Bewegungen in der Moderne und mit der Entwicklung der Frauenbewegung zunehmend und durchaus positiv identitätsstiftend als weise Frauen angesehen. Anstatt als Kinder ermordende Scheusale galten Hexen nun als weise Frauen mit übernatürlichen Kräften. Die kleine Hexe von Otfried Preußler oder Bibi Blocksberg verfestigten diese freundliche Deutung unserer Zeit.
Im Harz, wo in der Walpurgisnacht das zentrale Treffen der Hexen auf dem Blocksberg, dem Brocken, bzw. auf dem Hexentanzplatz über Jahrhunderte vermutet wurde, wandelte sich der Hexenglaube über ein folkloristisches und mystisches Brauchtum zu einem besonderen Image für die Region. Die Brockenhexe ist heute zweifellos das wichtigste Symbol für den Harz. Die Erschließung des Brockengipfels mit der Eisenbahn im Jahr 1898 befeuerte den Tourismus und die Anziehungskraft der Walpurgisfeste. Im Jahr 1903 wurde das Harzer Bergtheater auf dem Hexentanzplatz eröffnet. Die Walpurgishalle entstand bereits 1901 und beschwört den Mythos der germanischen Götterwelten und einen vermuteten altsächsischen Kultort.
Der weit verbreiteten Mode der Sammlung von kleinen Geldscheinen mit dekorativen und erzählenden Motiven entsprach auch die Edition von Notgeld der Gemeinde Thale zum Walpurgisfest 1921. Solche Scheine versprachen einen guten Gewinn für die angespannten Kassen der Herausgeber. Sie sprachen Sammler im ganzen Land an und waren eine preiswerte Erinnerung an einen eindrucksvollen Besuch. Die Scheine transportierten in Bild und Text das Image der herausgebenden Körperschaften und dokumentieren so das frühe Städtemarketing. Neben Blankenburg, Ilsenburg, Wernigerode und Thale gaben auch der Brockenwirt oder die Nordhausen-Wernigeröder Eisenbahngesellschaft Geldscheine auf die Walpurgisfeiern heraus. Prof. Dr. Georg Jaeger hat die Editionen zusammengestellt.
Walpurgisnacht auf Notgeldscheinen
auf www.goethezeitportal.de
In Thale ist oft der Teufel los, der Fremde fragt: Wie kommt das blos.
Weils wohl Hexen giebt an jedem Orte, / Nirgends aber solche feine Sorte!
Die aus fünf Nominalen bestehende Serie von Thale zeigt das Bergtheater, die Walpurgishalle und den ausgelassenen Hexentanz. Die Inschrift der Vorderseite: In Thale ist oft der Teufel los, der Fremde fragt: Wie kommt das blos. spricht für sich. Auf der Rückseite wird die einzigartige Schönheit der im Flugwesen trainierten Thalenserinnen beschworen: Weils wohl Hexen giebt an jedem Orte, / Nirgends aber solche feine Sorte!
Der ekstatische Tanzreigen erinnert an den expressiven Ausdruckstanz einer Mary Wigman oder Gret Palucca und veranschaulicht die bizarre Rhythmik zu mystischer Musik. Der Geldschein wurde von der Braunschweiger Druckerei Appelhans hergestellt, die aus dem 1729 in Halle (Saale) gegründeten Verlagshaus Schwetschke und Sohn hervorging. Die Künstlersignatur, das Monogramm S, konnte bisher nicht entschlüsselt werden. Es wird vermutet, dass der Entwurf von dem in Bad Harzburg tätigen Buchändler Rudolph Stolle stammt.
Das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) besitzt einen umfangreichen Bestand von etwa 50.000 Geldscheinen. Die erste Sammlung künstlerisch gestalteten Notgeldes wurde 1951 erworben. Im Portal Museum-Digital sind derzeit mehr als 600 Scheine in Bild und Text veröffentlicht.
Sammlung von Notgeldscheinen
auf www.museum-digital.de
Das Landesmünzkabinett Sachsen-Anhalt im
Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
Als repräsentative historische und kunsthistorische Quellen mit Aussagen in politischer, staatlicher, rechtlicher, religiöser, mythologischer, ästhetischer, paläographischer oder kultureller Hinsicht soll die Sammlung sukzessive weiter erschlossen werden. Die Scheine stellen als spezielle Erscheinungsform der Gebrauchsgrafik eine interessante und von der Kunstgeschichte bisher noch nicht entdeckte Quelle dar.