28. Mai 2020

Nur ein Spiel?

… macht man sich nicht bereits einer beleidigenden Einschränkung schuldig, indem man Schach ein Spiel nennt? Ist es nicht auch eine Wissenschaft, eine Kunst, …; uralt und doch ewig neu, mechanisch in der Anlage und doch nur wirksam durch Phantasie, begrenzt in geometrisch starrem Raum und dabei unbegrenzt in seinen Kombinationen, ständig sich entwickelnd und doch steril … das einzige Spiel, das allen Völkern und allen Zeiten zugehört und von dem niemand weiß, welcher Gott es auf die Erde gebracht, um die Langeweile zu töten, die Sinne zu schärfen, die Seele zu spannen.

Stefan Zweig: Schachnovelle, 1942

Das Schachspiel begleitet die Menschen in ihrer gesamten Geschichte. Eines der ältesten mittelalterlichen Schachbretter war 2006 in unserer Ausstellung Der Kardinal zu sehen. 200 Jahre nach seiner Entstehung kam es in den Besitz von Kardinal Albrecht (1490-1545). 1531 verzeichnete das Inventar der Moritzburg es als „Sanct Ruprechs bredtspiel und schachspiel im vergulten silber eingefast“. Der Kardinal wandelte es zu einer Reliquie. Damit diente es für viel mehr als nur zum reinen Zeitvertreib.

 

Heute kennen wir vor allem Schachspiele aus Holz. Die bekannteste Form geht auf Howard Staunton (1810-1874) zurück. Der bekannte britische Spieler befürwortete erfolgreich die Vereinheitlichung der Schachfiguren. Die ursprünglich von dem Journalisten und Designer Nathaniel Cooke am 1. März 1849 patentierten Figuren sind bis heute die offiziellen Turnierfiguren. Ihr zeitlos ansprechendes Design ist uns allen vertraut.

 

Als im Deutschland der 1920er Jahre der Schachweltmeister Emanuel Lasker (1868-1941) die höchste Prominenz genoss und die Strategien der „Hypermodernen Schachschule“ oder die in Kopenhagen gespielte „unsterbliche Zugzwangpartie“ Schlagzeilen machten, gab es fast 200 Schachvereine. Wettkämpfe waren große gesellschaftliche Ereignisse. Schach war im Gespräch. Alle konnten mitreden.

 

Die künstlerische Moderne brach diese Formtradition auf. Man Ray (1890-1976) und Marcel Duchamp (1887-1968) waren Vorreiter. In den 1920ern entwickelten selbstbewusste Künstler auch in Deutschland individuelle moderne Formen für das Spiel. Zu ihnen gehörte der an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle tätige Bildhauer und Keramiker Gustav Weidanz (1889-1970), der 1928 in der Ausstellung der Schule in Barcelona erstmals sein Spiel präsentierte. Es zeichnet sich durch eine fast monumentale Prägnanz trotz einer eleganten Schlichtheit aus. Es gehört zu seinen immer noch fast unbekannten Meisterwerken. Bei einem Besuch unserer Studiensammlung Kunsthandwerk & Design kann es besichtigt werden.

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Kunsthandwerk und Design

Bereits 1923 entwarf Josef Hartwig (1880-1955) das inzwischen als Inkunabel der Moderne deutlich berühmtere Bauhaus-Schachspiel. Die Figuren sind geometrisch abstrakt auf Kreuze, Quadrate und Kreise reduziert. Im Vergleich mit Weidanz gestaltete Hartwig ohne jeden Bezug zu einem Vorbild regelrecht revolutionär. Walter Gropius (1883-1969) wertete den Entwurf als „praktisch, haltbar, billig und schön“.

Das Spiel war eines der ersten Serienprodukte des Bauhauses. Die logische Funktionalität seiner Figuren ergab sich für den Künstler „durch ihre Form (für) die Gangart, durch ihr Volumen (für) den Wert“. Dieses Spiel wird mit seiner originalen Kassette im Ausstellungs­bereich Wege der Moderne. Kunst in Deutschland 1900 bis 1945 präsentiert.

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Wege der Moderne. Kunst in Deutschland 1900 bis 1945

Viele Künstler haben bis in die jüngste Zeit individuelle Schachspiele gestaltet. Sie entfalten ihren ästhetischen Reiz durch sich im Verlauf des Spiels immer wieder wandelnde plastische Konstellationen. Damit machen sie doppelt Freude.