27. Juni 2020
Ressource Architektur
Ein Lagerfeld-Blog zum Tag
der Architektur 2020
Seit 1994 findet jährlich am letzten Juni-Wochenende - analog zum Tag des offenen Denkmals im September - der Tag der Architektur statt - seit 2001 bundesweit einheitlich, seit 2002 mit einem zentralen Bundesauftakt, seit 2003 mit einem jährlichen Thema. In diesem Jahr lautet das Motto: "Ressource Architektur". Im Grußwort zum heutigen Tag der Architektur von Anne Katrin Bohles, Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, heißt es:
Mit tiefgreifenden kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen, Klimawandel, dem Rückgang der endlichen Ressourcen, darunter Rohstoffe und Boden, und einem bewussteren ökologischen Verständnis steht die „Ressource Architektur“ heute vor neuen, entscheidenden Herausforderungen - und liefert gleichzeitig umfassende Antworten auf die Fragen unserer Zeit.
Architektur und deren Wahrnehmung infolge kultureller und gesellschaftlicher Veränderungen ist ein Thema, das uns in Vorbereitung der Lagerfeld-Ausstellung stark beschäftigte. An unseren Gedanken, Problemstellungen und deren Lösung in diesem Zusammenhang wollen wir Sie heute teilhaben lassen.
Immer wieder hat Lagerfeld sich mit der ästhetischen Wirkung von Architektur auseinandergesetzt. So entstanden die Serien Designed by Man and Nature, Casa Malaparte, Farewell to Daylight oder The Glory of Water. Oft war ein Modekontext der Anlass für diese freien Fotoarbeiten.
Hier geht's zu unserem Video-Blog vom 15.05.2020 zur Serie Designed by Man and Nature
Hier geht's zu unserem Video-Blog vom 19.03.2020 zur Serie The Glory of Water
In den beiden Serien, die wir heute vorstellen, stehen zwei gewaltige Architekturen im Zentrum: Schloss und Park in Versailles und der Palazzo della Civiltà Italiana in Rom. Beide Werke trennen 300 Jahre, was sie jedoch eint, ist der einstmals mit ihnen verbundene Anspruch: die Verkörperung und Darstellung der Macht des jeweiligen politischen Systems - das des barocken Staatsabsolutismus und das des italienischen Faschismus.
Dürfen wir solche Bauwerke schön finden und sie in einer Foto-Ausstellung vorbehaltlos als Kunstwerke genießen?
Palazzo della Civiltà Italiana oder: Colosseo Quadrato
Der monumentale Bau wurde von 1938 bis 1943 im Auftrag Benito Mussolinis (1883–1945) in Vorbereitung der für 1942 geplanten Weltausstellung errichtet. Zwar fand die Weltausstellung aufgrund des 1939 von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkriegs nicht mehr statt, der faschistische Herrscher Italiens, Mussolini, ließ das neue Stadtviertel im Süden Roms jedoch fertigstellen. Es ist ein bis heute bewohnter Teil der italienischen Hauptstadt.
Die Stadtkrone dieses Viertels ist der "Palast der italienischen Zivilisation", der eine architektonische Selbstinszenierung des Diktators darstellt. Die Anzahl der Bogenstellungen in der Höhe (6) und Breite (9) entspricht der Anzahl der Buchstaben des Namens Mussolinis. Den oberen Abschluss aller vier Fassaden bildet das Zitat aus einer seiner Reden, und zwar der Kriegserklärung an Äthiopien vom 2. Oktober 1935.
Aufgrund seiner gesamten Erscheinung wurde es schnell mit dem Kolosseum des antiken Roms in Verbindung gebracht, woher sein zweiter Name, Colosseo Quadrato, rührt.
Ist es legitim, eine solche Architektur wie vom Modelabel Fendi, das seit 2015 sein internationales Headquarter in diesem Palast hat, realisiert, zu präsentieren?
2015 nahm Fendi, das Label, für das Karl Lagerfeld mehr als fünf Jahrzehnte als Chefdesigner tätig war, seinen Hauptsitz in Mussolinis Messepalast, nachdem dieser 2004 zunächst vom italienischen Staat in die Liste der nationalen Kulturdenkmale aufgenommen und bis 2008 mit öffentlichen Geldern saniert worden war.
Status, Sanierung und gegenwärtige Nutzung sowie die Selbstdarstellung des Modelabels Fendi mittels der Architektur sind symptomatisch für das Verhältnis der Italiener zu ihrer faschistischen Vergangenheit. Im Rahmen des Einzugs des Labels an seinem neuen Hauptsitz sagte dessen Präsident und CEO, Pietro Beccari:
Wir sind stolz darauf, den Palazzo della Civiltà Italiana heute in unsere Stadt und in die ganze Welt zurückbringen zu können, Symbol unserer römischen Wurzeln und eines kontinuierlichen Dialogs zwischen Tradition und Moderne, Werte, die uns schon immer am Herzen lagen maison.
("Siamo orgogliosi di poter restituire oggi alla nostra città e al mondo intero il Palazzo della Civiltà Italiana ha affermato Pietro Beccari, presidente e ad di Fendi - simbolo delle nostre radici romane e di un continuo dialogo tra tradizione e modernità, valori da sempre cari alla maison.", zit. n.: Il foglio dell'Arte, 11.02.2015).
In Zusammenhang mit der Eröffnung des Fendi-Headquarter und in Vorbereitung der Ausstellung Una nuova Roma: L’Eur e il Palazzo della Civiltà Italiana entstand 2014 Karl Lagerfelds fotografische Auseinandersetzung mit dem Palast. Er selbst äußerte sich darüber wie folgt:
„
Fashion and architecture were one of the favoured forms of expressing avant-garde culture in the early decades of the twentieth century. The famous Palazzo della Civiltà Italiana (now Fendi’s Roman headquarters) is a perfect example. The inspiration came directly from de Chirico’s metaphysical paintings from the years just before World War I, now just 100 years ago.
The mystery of his arches inspired over twenty years later this Roman landmark building.
The past and history here are now beyond “good and evil” as Nietzsche would have said. For us the inspiration is like the desire of the Italian heart. But it has to be filtered and transgressed. It’s an interpretation we should not try to explain.
If designers and architects conceive their work as a poet might conceive his poems there will be a sensuous and emotional factor. However, Italian fashion and Italian architecture have to be 100% Italian in their claim to universality.
“
Karl Lagerfeld
Schloss und Park Versailles
Wer kennt sie nicht - die Anlagen von Versailles? Mächtig erhebt sich im Südwesten von Paris der riesige Schlosskomplex mit dem noch größeren Parkareal. Ab 1668 wurden sie für den absolutistischen Alleinherrscher König Ludwig XIV. errichtet. Während die Bevölkerung Hunger litt und sich um das Notwendigste des Alltags sorgen musste, flossen Unmengen Geldes in die Errichtung dieser gebauten Machtdemonstration in einem sumpfigen Geländen. Nicht unbegründet war diese Verschwendungssucht der französischen Monarchen ein entscheidender Auslöser der Revolution 1789.
Wie unpolitisch darf Kunst sein? Können wir Gebäude von Monarchien und Diktaturen, im Falle Mussolinis einer menschenverachtenden Ideologie, ausschließlich ästhetisch betrachten?
Im Oktober 2017 schrieb die amerikanische Historikerin Ruth Ben-Ghiat in der Zeitung The New Yorker: „Wenn Denkmäler lediglich als entpolitisierte ästhetische Objekte behandelt werden, kann die äußerste Rechte die hässliche Ideologie sich zunutze machen, während alle anderen verletzt werden.“
Wenn wir die Fotografien Karl Lagerfelds von Versailles und dem Messe-Palast Mussolinis betrachten, dürfen wir deren Ästhetik natürlich genießen - wir müssen uns jedoch immer bewusst und darüber im Klaren sein, welcher Macht das Dargestellte diente, und uns bei aller künstlerischen Schönheit ein kritisches Bewusstsein hierüber bewahren.
Das Video zum Ausstellungsbereich
Text: Stephanie Jaeckel, Berlin
Sprecher: Ralf Wendt, Halle (Saale)