27. Februar 2021

Nach dem Verlust der berühmten Sammlung

#Geschichte(n)

 

Die Geschichte des heutigen Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) ist eine wechselvolle. Am einschneidendsten war unumstritten die Zeit des Nationalsozialismus. Heute berichten wir von der Zeit nach dessen Ende.

 

Für das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe, heute Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), dessen Sammlung vor dem Krieg als eine der modernsten in Deutschland galt, war es nach 1945 unmöglich, an die Vorkriegszeit anzuknüpfen. Auch wenn das Gebäude den Krieg unbeschadet überstanden hatte, verlor das Museum 1937 durch die Aktion „Entartete Kunst“ nahezu den gesamten Bestand der Moderne: 61 Gemälde, 85 Aquarelle und Zeichnungen sowie ein Mosaik. Ungeachtet dieser fatalen Verluste blieb das Museum während der Jahre der nationalsozialistischen Diktatur fast ununterbrochen geöffnet. Während dieser Zeit fand eine überraschend große Anzahl von Ausstellungen statt, die jedoch ausschließlich mit Leihgaben bestückt waren, da die Sammlungsobjekte zu deren Schutz ausgelagert oder innerhalb des Gebäudes sicher deponiert waren.

 

Die Leitung des Museums wechselte nach Kriegsende mehrfach. Nach dem Ausscheiden des partei­treuen Direktors Robert Scholz (1902–1981) leitete ab Sommer 1945 der Jurist und Kunst­wissen­schaft­ler Ludwig Erich Redslob (1890–1966), Diektor der Burg Gie­bichen­stein Kunst­hochschule Halle, kommissarisch das Museum. Ihm folgte Anfang 1946 ebenfalls kommissarisch der Stadtarchivar Erich Neuß (1899–1982), der hauptamtlich auch die Belange des Händel­hauses und der Stadt­biblio­thek vertrat. Erster bestellter Nach­kriegs­direk­tor wurde im November 1947 Gerhard Händler (1906–1982).

Er war bestrebt, die Lücke, die der nahezu vollständige Verlust der Sammlung der Moderne gerissen hatte, und die fehlenden Neu­er­wer­bungen während der 12 Jahre repressiver Kunst- und Kultur­politik unter national­sozialis­tischer Schreckens­herr­schaft zu ka­schie­ren. Händler bemühte sich, die verloren gegangenen Werke, deren Verbleib bekannt war, zurück­zuer­werben – eine Maßnahme, die die Bei­geord­neten der Stadt bereits am 25. Juli 1945 beschlossen hatten. Zudem war er bestrebt, Arbeiten von Künstlern, die einst in der Sammlung ver­tre­ten waren, sowie zeit­genössi­sche Werke zu erwerben. Schließlich suchte Händler Kontakt zu Künstlern und Sammlern, um mithilfe von Leih­gaben wenigstens temporär moderne Posi­tionen präsentieren zu können.

Am 7. Oktober 1948 eröffnete Händler die erste Sammlungspräsentation Moderner Kunst in der Sowjetischen Besatzungszone nach dem Krieg, die um Leihgaben ergänzt war um vorhandene Lücken zu schließen. In dem Begleitheft zur Eröffnung definiert er seine Herangehensweise als von dem Gedanken getragen:

 

... die dem Museum zu­gefüg­ten Schä­digun­gen so weit wie möglich wett­zu­ma­chen und darüber hinaus We­ge zur Zu­kunft anzu­deu­ten.

Gerhard Händler, 1948

 

Händlers Bestreben war es, den Besucherinnen und Besuchern eine möglichst lückenlose Kunstgeschichte der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts präsentieren zu können und ihnen ein erkenntnis- und lehrreiches Kunsterlebnis in der Tradition seiner Vorgänger Max Sauerlandt (1880–1934) und Alois J. Schardt (1889–1955) zu ermöglichen.

Die Präsentation wurde überregional wahrgenommen und als wichtiger Schritt in eine neue Zukunft begrüßt. Die Auswahl der Werke und Anzahl der Neuzugänge brachten Händler große Anerkennung in Kollegen- wie Künstlerkreisen.

 

Die Stadt­ver­wal­tung hat […] einen Kunst­schatz auf­ge­sta­pelt, der al­len Be­su­chern, den jun­gen und den al­ten, den schaffen­den Künst­lern und der Pres­se, weit über die Gren­zen des Lan­des Sach­sen-An­halt hi­naus, grö­ßte Über­ra­schung bot. […]

 


So weit der Blick in der sowje­ti­schen Zo­ne auch schwei­fen mag, eine Kunst­samm­lung von einer derar­ti­gen Ge­schlos­sen­heit dürf­te nicht auf­zu­fin­den sein.


Freiheit, 8. Oktober 1948

Sammlungspräsentation 1948, Ansicht I

Zu sehen sind Werke u. a. von Albert Gleizes „Fischerboote“ (Leihgabe), Wilhelm Lehmbruck „Kleiner weiblicher Torso“ (erworben um 1930), Oskar Moll „Akt mit Anemone“ (erworben 1948), Aristide Maillol „Knieendes junges Mädchen“ (erworben 1948), Gustav Seitz „Hockende II“ (erworben 1948), George Minne „Der kleine Verwundete“ (erworben 1913), Moissey Kogan „Frauenporträt“ (erworben 1926), div. Terrakottafiguren (erworben 1918). Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

 

Sammlungspräsentation 1948, Ansicht II

Zu sehen sind Werke von Paula Modersohn-Becker „Feldblumenstrauß“ (erworben 1928), Wilhelm Lehmbruck „Kleine Sinnende“ (erworben 1913) und „Badende“ (erworben 1925), Otto Mueller „Badende in Seelandschaft“ (erworben 1948), Ernst Ludwig Kirchner „Akte im Strandwald“ und „Atelierecke“ (beides Leihgaben). Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

 

Sammlungspräsentation 1948, Ansicht III

Zu sehen sind die vier Meditationen von Alexej von Jawlensky (erworben 1948) und Wassily Kandinskys „Improvisation 5“ (Leihgabe). Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

 

Von politischer Seite kam es jedoch kurz darauf zu inhaltlichen Einflussnahmen. Im Januar 1949 verlangte Gerhard Strauß (1908–1984), Leiter der Abteilung Bildende Kunst in der Deutschen Zentralen Verwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone, von Händler, mehr realistische Werke zu zeigen und die Gemälde der Expressionisten, die er als „Widerschein des Faschismus“ empfand, mit einem Hinweisschild auf „bürgerliche Verfallskunst“ zu kennzeichnen. Hinzu kam, dass Händlers eigene Ausstellungsvorhaben im Frühjahr 1949 einer Präsentation von Werken, die im Zuge der Bodenreform in der Moritzburg eingelagert wurden, zum Opfer fielen.

Diese Entwicklungen führten nicht nur zur einer lähmenden Einschränkung Händlers in seiner Funktion als Direktor des Museums; aufgrund seiner Ablehnung, die politischen Vorstellungen von Museumsausstellungen umzusetzen, war Händler um seine persönliche Freiheit besorgt. Gemeinsam mit seiner Familie floh er genau acht Monate vor Gründung der DDR am 7. Februar 1949 nach West-Berlin.

Die Position des Direktors des Museums in der Moritzburg bekleidete kurzzeitig erneut der Stadtarchivar Erich Neuß, bevor im Dezember 1949 Hans Kahns (1887–?) neuer Direktor des Museums wurde. Dieser sorgte im Juni 1950 dafür, dass das Städtische Museum Teil der Landesgalerie Sachsen-Anhalt wurde.

In der großen Sonderausstellung „DAS COMEBACK. Bauhaus Meister Moderne“ im Jahr 2019 haben wir mit vielen Leihgaben aus aller Welt die Sammlung rekonstruiert, wie sie vor der Aktion „entartete Kunst“ existierte:

Weitere Informationen zur Sonderausstellung

Blog-Beitrag zum Tag der Provenienzforschung 2020

Gesamtverzeichnis der 1937/38 in deutschen Museen beschlagnahmten Werke "entarteter Kunst"