26. Juli 2020
Die heilige Anna
Eine starke Frau der christlichen Tradition
Am 26. Juli wird der Gedenktag der heiligen Anna begangen, einer populären Heiligen in allen christlichen Religionen. Seit dem 6. Jahrhundert wird sie zuerst im byzantinischen Reich, ab dem 9. Jahrhundert in Mittel- und Westeuropa verehrt. Besonders mit dem Erstarken des bürgerlichen Lebens im 16. Jahrhundert und als Schutzpatronin der Bergleute ist sie in Bergbaugebieten, u. a. in Sachsen, häufig anzutreffen. Der Typus ihrer gegenüber anderen Heiligendarstellungen ungewöhnlichen Gestalt hat sich seit der Mitte des 14. Jahrhunderts verbreitet: Anna ist meist nicht allein, sondern wird mit ihrer Tochter Maria und deren Sohn Jesus zu der Dreigestalt der Anna Selbdritt. Sie wird mit ihrer jugendlichen Tochter und deren Sohn, ihrem Enkel, üblicherweise als ältere Frau dargestellt - eine Großmutter, die die beiden kindlicheren Figuren mit Fürsorge und Schutz zu umgeben scheint.
In unserem Andachtsbild trägt sie den kleinen Jesus auf ihrem Arm, der sich zu seiner Mutter Maria hinunterbeugt, die ihm ein aufgeschlagenes Buch hinhält - eine häusliche Szene, in der Maria Jesus lesen lehrt. Zugleich ist das Buch ein Hinweis auf das Neue Testament, in dem Jesu Leben, Tod und Auferstehung in vier Evangelien geschildert wird. In der Aussparung an der Brust der Annen-Figur war eine Reliquie eingelassen, ein kleiner Partikel vom Körper der Heiligen, dessen Heiligkeit sich dem Andachtsbild mitteilte.
Nach einem apokryphen Evangelium, das nicht in der Bibel vorkommt, und nach der Legenda aurea, einer Sammlung von Heiligenlegenden aus dem 13. Jahrhundert, blieb Anna in ihrer Ehe mit Joachim lange kinderlos. Nach zwanzigjähriger Ehe wurde ihr von einem Engel die Geburt Marias angekündigt. Nach Joachims Tod war sie noch zweimal verheiratet und bekam weitere Kinder. Ihre Schwester hingegen war der Legende nach die Großmutter Johannes des Täufers, sodass Johannes, der Jesus später im Jordan taufte und ihn als Messias ankündigte, und Jesus verwandt sind. Bilder der „Heiligen Sippe“ zeigen oft, wie sie im Kreis der Familie miteinander spielen. Doch kann das Bild der Anna Selbdritt auch sehr hoheitsvoll sein, wenn sie, wie etwa in der Nikolaikirche in Stralsund, Maria auf dem Schoß hält, auf deren Schoß wiederum Jesus sitzt.
Mit dem Einzug der Renaissance veränderte sich die Figur der Anna Selbdritt und wurde immer szenischer und realistischer. Oft sitzen Anna und Maria nun einander zugewandt, den Jesusknaben zwischen sich oder auf dem Schoß einer der Frauen. Eine häusliche Szene der heiligen Sippe mit Anna, Maria und dem kleinen Jesus im Zentrum hat Lucas Cranach (1472-1553) so anschaulich dargestellt, dass man annehmen möchte, er kannte ähnliches aus seiner eigenen Familie.
Das vielleicht geheimnisvollste, zugleich auch lebendigste und freundlichste Bild der Anna Selbdritt hat Leonardo da Vinci (1452-1519) geschaffen, der auch noch den kleinen Johannes den Täufer mit in die Szene hineinnimmt.
Tatsächlich gibt es auch Darstellungen, bei denen noch eine dritte Frau hinzukommt, Annas Mutter Emerentia, sodass das Bild einer Emerentia Selbviert entsteht.
Betrachtet man die vielen Anna Selbdritts, so scheint sich in diesem Bild in der religiösen Tradition eine weibliche Parallele zur männlichen Dreifaltigkeit zu zeigen, die sich in dem stark von der Volksfrömmigkeit geprägten Annen-Kult erhielt. Galt die heilige Anna doch nicht nur als Patronin vieler Handwerker und Gewerbetreibender, sondern auch als Schützerin der Mütter und der Ehe. Sie wurde angerufen für eine glückliche Heirat, Kindersegen und eine glückliche Geburt.
Es finden sich starke Frauen in der christlichen Tradition! Die Bilder von Anna Selbdritt und Emerentia Selbviert verweisen auf die weibliche Genealogie des Gottessohnes, die zurück zum Stammvater Jesse führt. Wo aber - fragt sich Frau - ist dessen Frau geblieben?