25. Mai 2020

Gemeinsam essen – eine Wonne!?

Endlich wieder Restaurantbesuche, gemeinsame Essen – wenn auch in kleiner Runde. Wie sehr etwas gefehlt hat, merken viele erst, wenn sie es das erste Mal wieder erleben. Ging es euch auch so?

Wir haben in unseren Ausstellungen gesucht und auch hier ein passendes Werk gefunden: Oskar Schlemmers Tischgesellschaft von 1923.

 

Oskar Schlemmers Tischgesellschaft im Ausstellungsbereich Wege der Moderne. Kunst in Deutschland 1900 bis 1945 | © VG Bild-Kunst für die Werke von Lyonel Feininger und Christian Schad, © Nachlass Gustav Weidanz, © Estate of T. Lux Feininger

Für Oskar Schlemmer (1888–1943), der von 1921 bis 1929 dem Staatlichen Bauhaus in Weimar sowie später in Dessau angehörte, stand der Mensch als Maß aller Dinge im Mittelpunkt seiner künstlerischen Strategie. Darin Paul Klee verwandt, suchte er nach spezifischen Möglichkeiten und Gesetzen für die bildende Kunst, um sie in den Dienst des architektonischen Gesamtkunstwerkes – wie es im Bauhaus-Manifest postuliert wird – zu stellen.

Schlemmers Tätigkeit des plastischen Gestaltens und seine Bühnenarbeit – von 1923 bis 1929 war er Leiter der Bühnenwerkstatt am Bauhaus – riefen einen grundlegenden Wandel auch in der Malerei des Künstlers hervor. Seine Figuren und Raumdarstellungen werden realitätsnäher. Im Zentrum seiner Bemühungen steht die Untersuchung körperhafter Figuren in einem erfundenen Raumprospekt, welches an Bühnengestaltung erinnern mag.

 

In unserer Grafischen Sammlung befindet sich ein Kleinod: Schlemmers Zeichnung “Kämmen das Haar wir …" aus dem Jahr 1927, die im Kontext der Bühnenprojektionen für das Ballett Les Noces von Igor Strawinsky entstand, einer zwischen 1914 und 1917 komponierten Tanzkantate (Ballett mit Gesang) nach russischen Hochzeits-Gedichten. Die Uraufführung fand 1923 mit Sergej Diaghilews Ballets Russes in Paris statt.

Mehr über die Ballets Russes erfährt man aktuell gerade in unserer großen Lagerfeld-Ausstellung:

Karl Lagerfeld: Ballets Russes –
Hommage à Nijinsky, 2009

Die Zeichnung gelangte 1932 auf ausdrücklichen Wunsch Oskar Schlemmers ins Museum. Der Erfolg von Schlemmers Bühnenarbeiten Anfang der 1920er Jahre und seine Beschäftigung mit Fragen der zeitgenössischen Bühnenkunst bewirkte, dass er 1927 den Auftrag erhielt, eine Bühnengestaltung für Strawinskys Ballett zu kreieren. Hierfür schwebte ihm eine farbige Projektion seiner Zeichnungen mittels einer optischen Apparatur vor, die das musikalische Geschehen illustriert, während die Tänzer pantomimisch den Inhalt vermitteln. Als schwierig empfand Schlemmer die Angleichung seines persönlichen an einen „russischen“ Stil, den das Werk erforderte. Das Projekt scheiterte, da die Finanzierung nicht zustande kam.

Den meisten ist im Bühnenzusammenhang gewiss Schlemmers Triadisches Ballett ein Begriff. Die einzigen im Original erhaltenen Kostüme des Balletts befinden sich in der Staatsgalerie Stuttgart.

 

Mit dem Thema der Tischgesellschaft, welches Schlemmer bis in die 1930er Jahre beschäftigte, gelang ihm die Definition einer neuen Raumsituation, die im rein Formalen an die Pittura metafisica denken lässt. Eine Rückenfigur leitet den Betrachter in einen künstlich konstruierten Bildraum, in dem verschiedene, abstrahierte Figuren positioniert sind und damit die gesamte Raumkonstellation in Rotation versetzen. Die helle Tischfläche organisiert das Geschehen. Sie hält das Figurenvokabular auf Abstand, verbindet jedoch gleichzeitig die einzelnen Elemente miteinander.

 

Der Betrachter mag an die aktuelle Situation des Abstandshaltens erinnert sein, doch war es nicht Schlemmers prophetische Gabe, sondern seine gestalterische Absicht, die die Komposition derart formte. Rätselhaft erscheint die Gestalt am linken Bildrand, schwebend scheint sie nahezu im Hintergrund aufzugehen, während Gestus und Funktion nicht eindeutig zu benennen sind. Oskar Schlemmer hat einen Figuren-Raum voll magischer Suggestivkraft geschaffen, der die Grenzen zum Übersinnlichen berührt.

 

Das Gemälde hatte Schlemmer 1923 in Weimar gemalt und 1925 mit nach Dessau genommen, wo er es 1927 an die bedeutende Kunstsammlerin Ida Bienert (1870–1965) in Dresden verkaufte. Sie konnte das Werk durch die Moderne-feindliche Zeit des Nationalsozialismus, die verheerenden Bombenangriffe auf Dresden im Februar 1945 und die erneut Moderne-feindlichen Jahre nach 1945 im Osten Deutschlands retten. 1945 übersiedelte sie nach München und konnte ein Jahr später ihre Sammlung nachholen. 1952 verkaufte sie Schlemmers Tischgesellschaft an Karl Ströher. Es war 1977 zuletzt öffentlich zu sehen. 2019 wurde die Ströher-Sammlung bei Sotheby’s verkauft, sodass wir das fantastische Gemälde erst im Rahmen unserer großen Sonderausstellung Bauhaus Meister Moderne. Das Comeback zeigen konnten. Seit März dieses Jahres ist es als befristete Leihgabe im Rahmen unserer Sammlungspräsentation Wege der Moderne zu erleben.

Weitere Informationen zur Sonderausstellung
Bauhaus. Meister. Moderne. DAS COMEBACK