22. Oktober 2023

Tierische Feste

 

Im Oktober feiern wir gleich doppelt: Mit der Ausstellung „TIERE! Von lammfromm bis fuchsteufelswild “ werden erstmalig die Tiere aus dem Bestand des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) ihren ganz großen Auftritt haben. Gleichzeitig jährt sich am 22. Oktober zum 154. Mal der Geburtstag von August Gaul (1869–1921), der die Tierplastik um 1900 wie kein anderer zum Thema für die deutsche Bildhauerei erhoben hat.

Weitere Informationen zur Ausstellung "TIERE!"

 

August Gaul bei der Arbeit am „Liegenden Löwen“ für Rudolf Mosse, um 1904; Foto: © Städtische Museen Hanau, https://www.kulturstiftung.de/ein-loewe-fuer-den-loewen/

 

Gauls Spezialgebiet war eindeutig die Tierplastik: Schon früh haben ihn Tiere interessiert. Doch erst als er 1890 bei einer Verlosung eine Dauerfreikarte für den Berliner Zoo gewann, wurden sie zum Mittelpunkt seines künstlerischen Lebenswerks. Bei seinen zahlreichen Besuchen vor Ort konnte er die Tierwelt genauestens studieren.

Im 19. Jahrhundert wurden erstmalig Zoos gegründet, die sich als Stätten der Erholung und naturkundlichen Volksbildung verstanden. Der erste Zoo dieser Art wurde in London 1828 als Sammlung von Tieren für wissenschaftliche Studien eröffnet und nannte sich „Zoologischer Garten“. 1844 folgte in Berlin die Gründung des ersten Zoos in Deutschland. Nur wenige Jahrzehnte später gab es im damaligen Deutschen Reich über 20 Zoos und Schauaquarien. Gleichzeitig stieg der Wunsch nach einer möglichst vollständigen Präsentation der Artenvielfalt. Die Folge waren wachsende Sammlungen an Tieren. Damit kamen die Anlagen zwar ihrem Wissenschaftsanspruch nach, jedoch wurden die Käfige immer kleiner und mussten zum Teil sogar übereinandergestapelt werden. Der Erholungswert für die Bevölkerung ging zurück, obwohl gerade dieser durch die zunehmende Urbanisierung immer wichtiger wurde.

 

August Gaul: Ziegen, 1898, Bleistift auf Papier, 247 x 323 mm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

 

Eine Skizze aus unserer Grafischen Sammlung zeigt die scharfe Beobachtungsgabe von August Gaul im Jahr 1898: Mit Bleistift auf Papier hielt er die verschiedenen Körperhaltungen und Positionen von Ziegen fest. Dabei nutzte er das gesamte Blatt, um auch Detailstudien der Huf- und Kopfpartien darzustellen.

Die Grundlage von Gauls künstlerischem Schaffen bildete eine beachtliche Ausbildung: Als Sohn eines Steinmetzmeisters wuchs Gaul in Großauheim auf. Bereits mit 12 Jahren besuchte er den Zeichen- und Ziselierunterricht der Königlichen Zeichenschule im nahegelegenen Hanau. Um sich den eigenen Unterhalt während des Studiums zu verdienen, arbeitete er im Alter von 18 Jahren kunstgewerblich in einer Hanauer Manufaktur. Die kleine Stadt am Main war zu der Zeit florierendes Zentrum für die Herstellung künstlerischer Metallwaren wie Schmuck aus Gold und Silber.

Im Jahr 1888 zog Gaul nach Berlin, wo er zunächst weiter kunstgewerblich tätig war. Zwei Jahre lang besuchte er die Unterrichtsanstalt des Berliner Kunst­gewerbe­museums und verlagerte seinen Schwerpunkt nun auf das figürliche Modellieren. Um sich weiter als Bildhauer einen Namen zu machen, entschied sich Gaul 1892 erneut für ein Studium, diesmal an der Akademischen Hochschule der bildenden Künste. Als Schüler des bekannten Tiermalers Paul Meyerheim (1842–1915) zeichnete und modellierte er fortan auch tierische Figuren.

Im Aktsaal für Bildhauer entdeckte man sein plastisches Talent und stellte ihm daraufhin Reinhold Begas (1831–1911) vor. Berühmt geworden als „Lieblings­bildhauer“ von Kaiser Wilhelm I. entsprachen Begas Plastiken vor allem dem Geschmack der Zeit: Sein Stil war geprägt von einer theatralischen Formensprache und erfüllte so das hohe Repräsentationsbedürfnis seiner meist adeligen Auftraggeber. 1895 wurde Gaul als Meisterschüler in Begas’ Atelier an der Preußischen Akademie der Künste aufgenommen und arbeitete mit ihm zusammen am Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal. Dabei war Gaul für die Ausführung zweier monumentaler Löwen und Wappen zuständig.

 

 

Kurz nach der Enthüllung des Denkmals 1897 gewann Gaul bei einem Wettbewerb das Rom-Stipendium der Dr.-Paul-Schultze-Stiftung. Vergeben von der Preußischen Akademie ermöglichte es ihm im Jahr darauf einen längeren Aufenthalt in Italien. In Rom lernte er Adolf von Hildebrands (1847–1921) programmatische Schrift „Das Problem der Form in der bildenden Kunst“ (1893) kennen. Hildebrands darin formulierte Idee, die Form in der Plastik zu vereinfachen, beeinflusste Gaul schließlich zu seiner ganz eigenen Formensprache.

 

August Gaul: Wisent, 1902, Bronze, 38 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Ludwig Rauch

 

Die Bronzen „Wisent“ (1902) und „Erpel“ (1911) aus dem Sammlungsbestand des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) zeigen exemplarisch, wie sich der Blick des Künstlers verändert hatte: Gaul konzentrierte sich nun auf das Wesen, die Form und das Verhalten der Tiere. Unbefangen von äußeren Bedingungen, als autonomes Motiv, stehen seine Tiere für sich. Damit sind sie weder Träger symbolischer Inhalte noch werden sie auf die Beziehung zum Menschen reduziert.

 

August Gaul: Erpel, 1911, Bronze, 52 x 20 x 35 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Wieland Krause

 

Scheinbar losgelöst von den Konventionen der Kaiserzeit, betonte er vor allem die ruhige Silhouette und einen klaren plastischen Aufbau. Mit dieser Auffassung nahm Gaul nicht nur Charakteristika der beginnenden Moderne vorweg, sondern öffnete auch zukünftigen Generationen von Bildhauern den Weg in die Abstraktion.

Als Gründungsmitglied der 1898 neu formierten Berliner Secession lernte Gaul den Verleger, Kunsthändler und Galeristen Paul Cassirer (1871–1926) kennen. Sie begannen ein für ihre Zeit innovatives Geschäftsmodell, das dem Künstler durch die Bindung an Cassirers Galerie eine finanziell gesicherte Grundlage bot. Cassirer vermittelte Gauls Werke zudem an eine kaufkräftige Kundschaft, wodurch mehrere Bronzeplastiken in private Sammlungen gelangten. Im Gegenzug erhielt Cassirer Vorverkaufs- und Abbildungsrechte sowie Provisionen.

Ab 1900 erlebte Gaul als Tierbildhauer mit zahlreichen privaten wie öffentlichen Aufträgen, verschiedenen Ämtern und Ehrungen sowie der Teilnahme an den Weltausstellungen in Paris (1900), St. Louis (1904) und Brüssel (1910) große Erfolge. Während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) musste Gaul mit seiner Kunst jedoch neue Wege gehen. Im Laufe des Kriegs kam es zu einer nationalen Rohstoff- und Metallknappheit, die es nahezu unmöglich machte, in Bronze zu gießen. Die Metallreserven in den Betrieben wurden als waffentaugliches Material beschlagnahmt. Gauls wenige, während des Kriegs entstandenen, großformatigen Plastiken wurden daher in Eisen gegossen. Der Künstler beschäftigte sich stattdessen vermehrt mit der Herstellung von Stein- und Kleinplastiken, Kaltnadelradierungen, Exlibris und anderen grafischen Arbeiten. Zudem fertigte Gaul sieben Kriegsmedaillen an.

 

August Gaul: Kriegsmedaille Bündnistreue, 1915, Eisen, gegossen, 59,07 mm, 66,48 g, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Ulf Dräger

 

Bei der Kriegsmedaille „Bündnistreue“ handelt es sich um eine Spendenmedaille aus Eisen. 1915 im Auftrag des Roten Kreuzes entstanden, wurde sie bei Spenden über 25 Mark zugunsten von Kriegsinvaliden ausgegeben. Heute befindet sie sich im Landesmünzkabinett im Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale).

Auf der Vorderseite sind die beiden Kriegsverbündeten „Deutschland und Oesterreich Ungarn“ durch den größeren deutschen Adler und die kleineren Köpfe des österreichischen Doppeladlers dargestellt. Auf der Rückseite stehen zwei Schwertkämpfer, jederzeit bereit zum Schlag. Durch ihre rückwärtsgewandte Position zueinander gewähren sie sich gegenseitigen Schutz. Darunter steht ein Vers von Johann Wolfgang von Goethe aus seinem patriotischen Festspiel „Des Epimenides Erwachen“ von 1814: „Zusammen haltet euren Wert, und euch ist niemand gleich“. Thematisierte Goethe nach dem Sieg über Napoleon den Zusammenhalt der Deutschen, bezieht sich Gaul auf die Bündnistreue zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn.

1916 veröffentlichte Gaul eine Illustration mit der Bezeichnung „Europa“ auf der Titelseite der von Cassirer herausgegebenen, gemäßigt pazifistischen Zeitschrift „Der Bildermann“.

 

August Gaul: Europa, Illustration für die Zeitschrift "Der Bildermann. Steinzeichnungen für's deutsche Volk." herausgegeben von Paul Cassirer, 1916 (Heft 1, 5. April, Titelblatt), 1916, Lithografie, 198 x 274 mm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

 

Sie zeigt auf der rechten Seite wieder die Verbündeten Deutschland und Österreich-Ungarn als Adler. Ihnen gegenüber stehen die drei Kriegsgegner, dargestellt in Rückgriff auf die Wappentiere der Länder: Russland als Bär, Großbritannien als Seelöwe und Frankreich als „gallischer“ Hahn. Gleichwohl Großbritanniens Wappentier eigentlich der Löwe ist, zog Gaul das Bild des Seelöwen vor und interpretierte damit den Löwen und die Seemacht des britischen Empire in einer Tierfigur. Illustrationen und Karikaturen wurden damals auch vielfach zur Kriegs- und Anti-Kriegs-Propaganda genutzt.

Als die Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Krieg allmählich umschlug, spiegelten sie vermehrt dessen Schrecken wider. Der Wunsch nach Frieden zeigt sich bei Gaul schon im Dezember 1916, als seine Lithografie „Taube mit Ölzweig“ in der Zeitschrift „Der Bildermann“ erschien.

 

August Gaul: Taube mit Ölzweig, Illustration für die Zeitschrift "Der Bildermann. Steinzeichnungen für's deutsche Volk." herausgegeben von Paul Cassirer, 1916 (Heft 17, 5. Dezember, S. 4, Beiblatt, verso), 1916, Lithografie, 62 x 163 mm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

 

Die karikaturhaften, symbolhaft aufgeladenen Tiermotive von Gauls Illustrationen in dieser Zeit widersprachen im Grunde seinem ursprünglichen Anliegen als Bildhauer. Warum er überhaupt Tiere in den Mittelpunkt seines Schaffens gestellt hat, hielt der Künstler 1917 fest, bevor er im Alter von fast 52 Jahren an Krebs starb.

 



Ich will gar nicht die Natur pedantisch imitieren, sondern das Typische und ihren seelischen Kern festhalten. Vor allem will ich eine plastische Arbeit machen. […]

Was mich bei den Tieren anzieht, ist ganz wesentlich künstlerischer Art. Ich mache Tiere, weil es mich freut.

Zitiert nach: Museum Großauheim: August Gaul (1869–921) – Bildhauer der Moderne, online unter: https://www.hanau.de/sehenswert/museen/museum-grossauheim/007723.html

Zur Vertiefung

Publikation

Der Tierbildhauer August Gaul


Katalog zur Ausstellung, hg. von Ursel Berger, Berlin Georg-Kolbe-Museum 1999, Hamburg Ernst Barlach Haus 1999-2000, Hanau Museen der Stadt Hanau 2000, Berlin 1999