21. Dezember 2020

Von Mandelmakrönli und Schokobrezeli – weihnachtliche Food Photography von Hans Finsler im „Fülscher“

 

Essen und Fotografie: Gerade in den letzten Jahrzehnten, dank Smartphones und portabler Kameras, ist das ein Trend, der sich zur eigenen Sparte, zur Food Photography gemausert hat. Den Grund dafür fasst Max Küng treffend zusammen: „Es ist recht schwierig, über Nahrungsmittel zu schreiben. Man kann sich noch so Mühe geben […]: Jede Beschreibung wird weit hinter der wahren Sensation des Erlebten bleiben. […] Ein Bild erzählt dies alles tausendmal besser innert dem Bruchteil einer Sekunde. Ein Bild ist wie ein Hieb: direkt. Und dem Blick folgt die Lust.“

 

Dieser Text stammt aus dem traditionsreichen Schweizer Kochbuch „Elisabeth Fülscher“, im Alltag „das Fülscher“ genannt, einem Klassiker der Schweizer Küche. Nun fragt man sich: Warum findet sich ein Schweizer Kochbuch in der Handbibliothek der Sammlung Fotografie des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale)? Der Grund liegt in der von Küng beschriebenen idealen Verbindung, die Fotografie und Essen eingehen können: Das Kochbuch ist ein Belegexemplar, denn darin finden sich Fotografien des bekannten Fotografen Hans Finsler (1891–1972). Finsler arbeitete lange in Halle (Saale) an der Kunstschule in der Burg Giebichenstein, bevor er, der geborene Schweizer, 1932 an die Kunstgewerbeschule Zürich wechselte. Sein Nachlass liegt im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale). In der Schweiz gilt er als der „Urvater der Schweizer Fotografie“. Im „Fülscher“, Ausgabe 2013, finden sich sieben Fotografien von Finsler. Erste Aufnahmen publizierte er bereits 1940 in der traditionsreichen Koch-Bibel.

 

Schauen wir uns also an, wie Finsler Kuchen und Kekse fotografiert: Wir sehen Gebäck aller Art, Mandelmakrönli, Nusskonfekt, Zimtsterne, Spitzbuben, Mandelringli, Schokobrezeli und Haselnussstängelchen, gemischt nebeneinander arrangiert und von oben fotografiert. Auffällig ist: Es gibt von jedem Objekt mindestens zwei Stück oder mehr (Prinzip der Serie), meist nebeneinander platziert (Prinzip der Reihung) und immer ist mindestens ein Exemplar angeschnitten (Ausschnitt und Anschnitt = die Reihe setzt sich außerhalb des Bildes fort). Mit wenigen stilistischen Mitteln zeigt uns Finsler den einzelnen Keks als Teil der Kekssorte.

Im nächsten Foto weitere „Guetzli“, wie der Schweizer sagt: Zunächst mag das Motiv etwas irritierend anmuten, sitzt doch das Tablett nicht ganz waagerecht, wie man es erwarten würde. Hier spielt Finsler mit den Diagonalen der Gebäck-Form: Immer wieder entstehen durch Anschnitte und Schrägsetzungen kleine und größere Dreiecke und Rauten. Die schrägen Linien dynamisieren das Bild: Das Auflegen des Gebäcks, das Schneiden in zunächst gerade Stücke, aus denen dann die rautenförmigen Einzelteile entstehen, wird als handwerklicher Prozess visualisiert. Was wir sehen, ist keine Hochglanzaufnahme des fertigen Produkts, vielmehr zeigt Finsler den Kuchenboden, als sei er gerade aus dem Ofen gekommen: Hier und da liegt ein Krümel, am Rand bröckelt er leicht, fast schwebt einem der Geruch in der Nase. Trotz Aufsicht wirft das Gebäck einen Schatten – das ist wichtig, damit wir es uns dreidimensional vorstellen können. Die fluffige Konsistenz zeigt sich im Blick ins Innere des Bodens.

 

Was Finsler hier gelingt, ist die Visualisierung dessen, was das Herstellen der kleinen Süßigkeiten ausmacht, das Typische daran (die Backmasse, die Rautenform). Das Foto ist damit ein Beispiel der von ihm entwickelten „optischen Grammatik“, die der Neuen Sachlichkeit und dem Neuen Sehen der 1920er Jahre geschuldet ist. Mit den Mitteln der Fotografie wie Ausschnitt, Schatten und Kontraste ist Finsler in präzisen Bildern dem Wesen des Objekts auf der Spur.

 

 

Heute mag uns diese Art der Fotografie klassisch, in einem Kochbuch vielleicht fast schon altbacken anmuten – weit entfernt ist sie von der bunten, mit Schärfe und Unschärfe spielenden Farbfotografie, die auf Authentizität, Haptik, Hochglanz und Perfektion setzt. Max Küng weist richtigerweise darauf hin, dass das, was man in vielen Kochbüchern sieht, „ausserhalb der Fantasie nie etwas mit dem eigenen Leben zu tun haben wird.“

 

Die meisten Kochbücher, die in den Buchhandlungen verkauft werden, sind eigentlich gar keine Kochbücher, sondern Gegenstände, Accessoires, Geschenkartikel, Mitbringsel.

Und so kommen sie auch daher, oft sind sie zu gross und zu edel […] – schön anzusehen, aber das, was das Auge darin erblickt, das wird ausserhalb der Fantasie nie etwas mit dem eigenen Leben zu tun haben.

Max Küng

Gerade zu Weihnachten dürfte das Kochbuch ein beliebtes Last-Minute-Geschenk sein – sicherlich gerade zu Corona-Zeiten, in denen das Kochen in den eigenen vier Wänden aufgrund von Restaurantschließungen und Lockdowns an Relevanz gewinnt. Fragen sollten wir uns also: Möchte ich ein Coffee-Table-Book verschenken, das die Fantasie anregt? Oder ein Buch zum Kochen?

Für alle, die selbst Kochbücher unter dem Weihnachtsbaum finden, sowieso schon zu viele haben oder die Zeit zwischen den Jahren zum Aussortieren verwenden wollen, hat Max Küng noch die „1 m Regel“ parat: „[A]uf einem Laufmeter Regal haben zig Kochbücher Platz mit so vielen Rezepten, dass man für Jahre jeden Tag ein anderes Gericht kochen könnte, bis man durch ist. All jene Bücher, aus denen ich im Lauf der letzten zwölf Monate nichts gekocht hatte, die kamen in eine Kiste, und die Kiste kam in den Keller.“ Für diejenigen ganz auf den letzten Drücker: Aussortierte Kochbücher in gutem Zustand eignen sich auch wunderbar als Mitbringsel.

So und jetzt aber schnell ab in die Küche, die letzten Plätzchen fertig backen! Vielleicht Mandelmakrönli oder Schokoladebrezeli? Mal sehen!

 

 

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