20. März 2021

Auf in den Frühling!

 

Wenn die Tage ab Ende Februar merklich länger werden, die Sonne in ihren Strahlen an Kraft gewinnt, die kleinen Blau- und Kohlmeisen fordernd zu tschilpen beginnen, nach dem Regen sich die Erde öffnet und einen würzigen Geruch verströmt, das Gras nicht mehr abgestorben kümmert, sondern in seinem Grünfrisch leuchtet, die Kätzchen an den Weiden ausschlagen, dann wird das Leben auch für den Menschen leichter, denn der Frühling steht kurz vor der Tür.

 

Gerda Leo: Waldanemonen. Harz, 4.1932, Silbergelatine, 169 x 227 mm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt © Hans Ulrich Jedderun d'Oliveira, Amsterdam

 

Nur wer einen Heuschnupfen gegen den Pollenflug von Hasel und Birke hat, ist in seiner Freude auf den jährlichen Wandel und Neubeginn in der Natur etwas eingeschränkt; aber vielleicht lässt auch sie oder er sich ein wenig verzaubern. Der Vorfrühling, der sich im März mit kühlen Temperaturen an nasskalten Tagen noch etwas ziert, mag aber die innere Vorfreude auf die ersten warmen Tage, den beginnenden Bienen- und Hummelflug, die ersten farbigen Blüten in Parks und Gärten und den abendlichen Amselgesang nicht trüben, sondern die Befreiung aus der kalten Starre des Winters nur umso sehnlicher herbeiwünschen.

 

Adolf Senff: Römische Anemonen, 1826, Öl auf Pappe, 25 x 35 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Punctum/Bertram Kober

 

Vor allem zeigt sich der Frühling an der Blütenpracht: ob an den Obstbäumen, den Ziersträuchern, den blauen und gelben Krokussen, den Hyazinthen, der Schlüsselblume, den farbenfrohen Tulpen und später dem betörendem Duft des blühenden Flieders. Auch die Anemone hat es den Künstlerinnen und Künstlern angetan: der Fotografin Gerda Leo als wilder Blütenteppich ganz sachlich in schwarz/weiß, oder als Blumenstrauß gepflückt und in das Heim geholt, wie bei dem vor allem auf die delikate Farbkomposition ausgerichteten, kleinformatigen Gemälde Römische Anemonen von Adolf Senff (1785–1863).

 



Frühling

Mit dem Akazienduft
fliegt der Frühling
in dein Erstaunen

Die Zeit sagt
ich bin tausendgrün
und blühe
in vielen Farben

Lachend ruft die Sonne
ich schenke euch wieder
Wärme und Glanz

Ich bin der Atem der Erde
flüstert die Luft

Der Flieder
duftet
uns jung

Rose Ausländer (1901–1988)

 

Die antike, römische Göttin des Frühlings ist Flora, die als anmutige, jugendliche Schönheit in der europäischen Kunstgeschichte in mannigfacher Weise dargestellt wurde. Als Jugendstil-Tischaufsatz hat sie Theodor Eichler (1868–1946) für die Staatliche Porzellan-Manufaktur Meißen 1910 entworfen. Flora wird als zarte und beschwingt laufende, junge Schönheit dargestellt, die in einem schulterfreien, weißen, fast bodenlangem Kleid über das Tischtuch schwebt, den Blick kokett über die Schulter nach hinten geworfen. Als Attribut ist ihr ein Blütenkranz beigegeben und eine Girlande aus Rosen oder Päonien hält sie sich vor ihre entblößte Brust, um sie zu verhüllen.

 

Ganz anders die Phantastische Flora von Paul Klee (1879–1940), nur 12 Jahre später in luzider Mischtechnik aufs Papier gebracht. Auf einem horizontalen Liniennetz erwachsen flächig pflanzenartige Gebilde, die in Blütenkelchen oder Blattspitzen enden. Die untere und obere Zone verlaufen in zueinander gewandten Bögen, fast miniaturartig die Ganzheit von Erde und Himmel als verbildlichte Idee oder als Bühnenraum eingefangen. Der griechische Begriff „Genesis“ nimmt bei Paul Klee eine zentrale Rolle ein. Er wird mit „Geburt“, „Ursprung“, „Entstehung“ übersetzt und meint neben dem „am“, auch das „im Anfang“, also Beginn und Prozess zugleich. Nicht das vollendete Werk, sondern das Entstehen der Form aus den Gesetzmäßigkeiten eines dynamischen Gestaltungsprozesses war für Klee das eigentlich Künstlerische, das er sichtbar werden ließ. Dabei schuf er das Bild als Schöpfung, die sich immer wieder vollzieht, wie die Natur nach dem tiefen Winterschlaf zu einer neuen Gestalt erwächst.

 

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Recomposed by Max Richter: Vivaldi – The Four Seasons, 1. Spring
Violinist: Daniel Hope, Deutsche Grammophon - DG



Der Frühling ist eine echte Auferstehung, ein Stück Unsterblichkeit.

Henry David Thoreau (1817–1862)