19. Juli 2022

Gretchenfrage:
Wie gehen wir als Kul­tur­tä­tige ver­ant­wor­tungs­voll mit dis­krimi­nie­ren­den Ti­teln, In­hal­ten und Dar­stel­lungs­weisen um?

 

Die Kolleginnen und Kollegen von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden benannten 2018 ihre Veranstaltungsreihe zum sogenannten Bilderstreit „Wir müssen reden“. Zu dieser Feststellung waren auch wir gelangt nach den Erfahrungen mit den Reaktionen unseres Publikums auf Triggerwarnungen in Ausstellungen, auf Umbenennungen rassistischer Werktitel und auf unseren Umgang mit einem Gemälde von T. Lux Feininger.

In den zurückliegenden drei Jahren haben wir verschiedene Erfahrungen mit dem Verstehen und der Akzeptanz unseres Bemühens gemacht, so sensibel wie möglich mit diskriminierenden Inhalten und diskriminierender Sprache in unserem musealen Alltag umzugehen: N- oder Z-Worte in historischen Werktiteln, belastete Erwerbskontexte aus kolonialen Zeiten, Kunstwerke mit diskriminierenden Darstellungen, inklusives Sprechen über diese und andere Aspekte – all dies sind Fragen, mit denen sich Kulturtätige heute auseinandersetzen müssen, wenn sie sich als zeitgemäße, verantwortungsvolle Mitglieder unserer sich wandelnden Gesellschaft verstehen. Doch wie verhalten wir uns richtig, ohne die einen einzuschließen und im selben Atemzug die anderen ungewollt auszuschließen oder ihnen zumindest vor den Kopf zu stoßen?

Letzteres und ganz konkret die Inszenierung der Oper „Manru“ von Ignacy Jan Paderewski an der Oper Halle in diesem Frühjahr waren der Anlass für unseren Direktor, Thomas Bauer-Friedrich, mit Gästen und dem Publikum zu diskutieren. Der Einladung gefolgt waren:
 

Prof. Dr. Anna Greve

Direktorin des Focke-Museums Bre­men und Au­to­rin zahl­rei­cher Publi­ka­tio­nen (u. a. „Kolo­nia­les Er­be in Museen. Kri­ti­sche Weiß­seins­for­schung in der prak­ti­schen Mu­seums­arbeit“)

Seggen Mikael

Leiterin von DOK.network Africa des Do­ku­mentar­film­festi­vals Mün­chen und Mit­glied des Kol­lek­tivs DisCheck, eines Be­ra­tungs­kol­lek­tivs für alle, die ihre Me­dien­in­hal­te dis­krimi­nie­rungs­sen­si­bel und inter­sek­tio­nal ge­stal­ten wollen.

André Raatzsch

Leiter des Referats Do­kumen­ta­tion am Do­kumen­ta­tions- und Kultur­zen­trum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg

Dr. Boris Kehrmann

Chefdramaturg der Oper Halle

Moderiert wurde die Gesprächsrunde von:

Andreas Montag

Ressortleiter Kultur der Mitteldeutschen Zeitung

Der Gastgeber:

Thomas Bauer-Friedrich

Direktor Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)

 

Unter dem Titel „Wie gehen wir als Kulturtätige verantwortungsvoll mit diskriminierenden Titeln, Inhalten und Darstellungsweisen um?“ war es die erste öffentliche Diskussionsveranstaltung zu diesem Thema in unserem Haus und entsprechend rege war auch das Interesse seitens des Publikums. Dieses setzte sich aus allen Altersgruppen zusammen.

In einer ersten Runde, in der jede und jeder auf dem Podium ein erstes Statement gab, wurde das Spektrum deutlich, das mit dem Thema verbunden ist. Gleichzeitig zeigte sich auch die Komplexität der Fragestellung und die Tatsache, dass es keine leichten, einfachen Antworten gibt.

Im zweiten Abschnitt diskutierte das Podium intensiv und kontrovers über die eingangs skizzierten Fragen ganz konkret anhand zweier Beispiele, der Manru-Inszenierung an der Oper Halle und des Gemäldes „The N***** of the Narcissus“ von Theodore Lux Feininger.

 

 

Dies sind die drei Werke mit rassistischen Werktiteln, die wir Ende 2021 umbenannt haben:

 

In den vergangenen Jahren haben wir mit verschiedenen Formen der Negation des N-Wortes im Titel gearbeitet und uns gegenwärtig in Absprache mit dem Sohn des Künstlers auf die Sternchen-Neutralisierung verständigt. Die 5 Sternchen stehen für die 5 getilgten Buchstaben, sodass man sich im Zusammenhang mit dem erklärenden Text, der in der Ausstellung neben den Werkangaben zu finden ist, erschließen kann, welches rassistische Wort eliminiert wurde. Der ganz aktuell neu formulierte und mit dem das Urheberrecht des Künstlers verwaltenden Sohn abgestimmte zweisprachige Kommentar zum Werk lautet:

Der Titel des Werks stammt vom Künstler und wurde durch die gleichnamige Erzählung von Joseph Conrad aus dem Jahr 1897 inspiriert. Conrad verwendet eine bereits damals rassistische Bezeichnung für die literarische Figur des James Wait, die sich auf den Afro-Amerikaner Joseph Barron bezieht, der 1884 Mitglied der Besatzung der „Narcissus“ war. Wir wollen das diskriminierende Wort nicht länger reproduzieren und benutzen daher eine Hilfskonstruktion.

Mithilfe des Textes erklären wir die Gründe für unser Handeln, distanzieren uns von rassistischer Sprache und geben dem mit dem N-Wort diffamierten Matrosen seinen realen Namen zurück. Die Titelgeschichte des Bildes bleibt in der museumsinternen Dokumentation selbstverständlich erhalten.

Das Gemälde wurde 1892 als „Studienkopf eines M***** mit buntem Turban“ inventarisiert. Unter diesem Titel wurde es bislang auch in der Literatur publiziert, zuletzt im Bestandsverzeichnis der Malerei des 19. Jahrhunderts im Jahr 1996. Möglicherweise steht das Gemälde im Zusammenhang mit einer Studie, die 1890 in der „Ausstellung der Werke von Wilhelm Gentz und Carl Steffeck“ der Berliner Nationalgalerie unter dem Titel „Araber mit Turban en face. Brustbild“ als Katalognummer 771 ausgestellt wurde.

Im Rahmen der Neueinrichtung der Sammlungspräsentation der Alten Meister im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) und in Auseinandersetzung mit den aktuellen Diskursen zu strukturellen Rassismen in unserer Gesellschaft wurde der nur beschreibende historische Titel neutralisiert zu „Männlicher Studienkopf“, um sprachliche Rassismen nicht in die Zukunft fortzusetzen. Die Titelgeschichte des Bildes bleibt in der museumsinternen Dokumentation selbstverständlich erhalten.

Das Gemälde wurde in das Inventar des Museums als „Brustbild eines N***** (Smith aus Halifax)“ aufgenommen und in der Literatur bislang unter diesem Titel publiziert, zuletzt im Bestandsverzeichnis der Malerei des 19. Jahrhunderts im Jahr 1996. Im Rahmen der Neueinrichtung der Sammlungs­prä­sen­tation der Alten Meister im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) und in Auseinandersetzung mit den aktuellen Diskursen zu strukturellen Rassismen in unserer Gesellschaft wurde der nur beschreibende erste Teil des Titels eliminiert. Carl Blechen vermerkte die Information zum Dargestellten auf der Bildoberfläche, indem er unten rechts in die feuchte Malschicht „Smith aus Halifax“ einritzte. Um sprachliche Rassismen nicht in die Zukunft fortzuschreiben, wurde die Bezeichnung des Gemäldes auf seinen sachlich beschreibenden, nicht diskriminierenden vom Künstler vergebenen Originaltitel zurückgeführt. Die Titelgeschichte des Bildes bleibt in der Dokumentation selbstverständlich erhalten.

 

Kontrovers diskutiert wurde die Position der Oper Halle, das unzählige Male im Libretto der Oper „Manru“ vorkommende Z-Wort nicht zu eliminieren, während das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) Betroffenengruppen bewusst nicht länger diskriminieren und verletzten möchte und rassistische Elemente in Werktiteln tilgt und versucht, mittels Werkkommentaren das Museumspublikum für die Problematik zu sensibilisieren.

Weitere Informationen zur Oper „Manru“ auf bühnen-halle.de

Die abschließende Diskussion mit dem Publikum zeigte, wie schwer es ist, die Perspektive der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft und vertraute, Sicherheit und Verlässlichkeit bietende Komfortzonen zu verlassen. Das sprachliche und mit unserem Verhalten auch ganz praktische Einschließen bislang ausgeschlossener Mitglieder unserer Gesellschaft bedeutet immer auch das Aufgeben vermeintlicher eigener Macht und Deutungshoheit. Zu einem sich gegenseitig respektierenden inklusiven Umgang miteinander zu gelangen, scheint noch ein langer Weg zu sein, doch führt nichts daran vorbei, ihn zu beschreiten. Daher sollen dieser ersten Diskussion künftig in loser Reihe weitere folgen.

 

Fotos: Matthias Kunkel

 

Für alle, die am 29. Juni 2022 nicht live im Museum sein konnten, gibt es mit dem nachstehenden Audio-Mitschnitt die Möglichkeit, zeit- und ortsunabhängig die Diskussion nachzuhören:

 

Podiumsgespräch vom 29. Juni 2022: Wie gehen wir als Kulturtätige verantwortungsvoll mit diskriminierenden Titeln, Inhalten und Darstellungsweisen um?


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