19. August 2020
Happy Birthday, liebe Fotografie!
Am 19. August 1839 schenkte Frankreich der Welt die Fotografie – ein Meilenstein, der seit Jahren als Geburtstag des neuen Mediums gefeiert wird. Doch wie es sich für eine Grande Dame gehört, verschleiert die Fotografie gern mal ihr wahres Alter und macht sich jünger, als sie ist. So liegen die Anfänge des optischen Wissens zur Fotografie weit vor 1839 und im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde fieberhaft in vielen Ländern Europas gleichzeitig daran gearbeitet, mit Hilfe lichtsensibler Materialien die Natur ins Bild zu bannen. Bereits 1926 gelang Josef Nicéphore Niépce (1765–1833) mit dem „Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras“ das erste Kamerabild auf einer mit Asphalt bestrichenen Zinnplatte.
Was passierte also am 19. August 1839? Was hebt diesen Moment aus dem Strom der Zeit heraus? In der französischen Akademie der Wissenschaft präsentierte der Physiker Francois Arago (1786–1853) der Welt eine neue Erfindung: die Daguerreotypie. Louis Daguerre (1787–1851) hatte lange Jahre mit Niépce zusammengearbeitet und das fotografische Verfahren nach dessen Tod weiterentwickelt, um es praktikabler zu machen. Denn Niépce erster Erfolg hatte immerhin 8 Stunden Belichtungszeit benötigt.
Das Ergebnis waren „Daguerreotypien“, silbern spiegelnde, hochglanzpolierte Kupferplatten, die, durch die Bedampfung mit Jod lichtsensibel gemacht, „nur“ mehrere Minuten belichtet und anschließend durch Quecksilberdampf entwickelt wurden. Arago hatte die Akademie der Wissenschaften überzeugt, die neue Technik staatlich anzukaufen und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Ihren Nutzen sah er sowohl für die Kunst als auch für die Wissenschaft.
„
Um die Millionen und Aber-Millionen Hieroglyphen zu kopieren, die auch nur die Außenseiten der Denkmäler von Theben, Memphis, Karnak usw. bedecken, bedarf es Dutzende von Jahren und einer Legion von Zeichnern. Mit dem Daguerreotyp könnte ein Mann diese Aufgaben bewältigen.
“
Francois Arago, 1839
Die Kunde von den neuen Bildern hatte da schon die Runde gemacht. Der Lobgesang von Jules Janine, verfasst ein halbes Jahr vor ihrer Veröffentlichung, zeugt von der Faszination, die von der Daguerreotypie ausging. In der Tat wurden auf den Platten die feinsten Details der aufgenommenen Motive sichtbar, wobei die spiegelnde Fläche einem Vexierbild glich. Daguerreotypien waren sehr haltbar, jedoch äußerst fragil, daher wurden die Bilder in edlen Rahmen hinter Glas montiert. Auch waren es Einzelwerke – da es kein Negativ gab, war die Platte selbst das einzige Bild.
In der Folge wurden die Daguerreotypien vor allem als repräsentative Preziosen der Porträtkunst beliebt. Damit eroberten sie ein Feld, das bislang die Porträtmaler dominiert hatten. Schnell entbrannte daher die Diskussion: Ist die Fotografie eine Kunst oder kann sie lediglich der Kunst dienen?
„
Wer wird künftig malen, wenn das Daguerreotyp alle Bilder der Welt heißhungrig verschlingt?
“
Der Humorist, 26.7.1839, S. 592
Das fotografische Bild begann, die Welt zu erobern: Vom Unikat entwickelte sich die Technik über viele Stationen zum Duplikat, von der Kupferplatte zum Papierabzug und Glasnegativ. Die Fotografie wurde populär, ging auf Reisen, wurde kleiner und vielfältiger. Auch ihre Einsatzgebiete wurden mannigfach. Wie Arago vorausgesehen hatte, diente sie der Wissenschaft, aber auch dem Journalismus, füllte private Bilderalben und zog nach langen Jahren der Diskussion schließlich ins Museum ein.
Dort finden wir sie heute wieder, auf Papier, auf transparenten Stoffen, auf Leinwänden und ja, auch auf Kupferplatten – so etwa in unserer aktuellen Karl Lagerfeld Retrospektive im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), die auch eine Entdeckungsreise durch die Geschichte des Mediums ist. Die modernen Daguerreotypien der Serie „The Glory of Water“, 2013, in der dunklen Box, laden uns ein, in die Frühzeit der Fotografie im 19. Jahrhundert einzutauchen – wenn man genau hinschaut, wird die spiegelnde Fläche sichtbar.
Weitere Informationen zur Sonderausstellung
„Karl Lagerfeld. Fotografie. Die Retrospektive“
Am 19. August gilt es also, nicht DIE Fotografie zu feiern, sondern die vielfältigen, wunderbaren Ausdrucksformen und Erscheinungsweisen des fotografischen Bildes, die aus unserer Gegenwart nicht mehr wegzudenken sind. In diesem Sinne: Happy Birthday, liebe Fotografie!
„
DIE Fotografie gibt es nicht. Sie besitzt keine Identität, keine Eigenart, keine spezifische Bedeutung unabhängig von derjenigen, die ihr in den kulturellen, gesellschaftlichen und institutionellen Kontexten ihrer vielfältigen Einsätze zugewiesen wird.
“
Susanne Holschbach, 2003
Empfehlungen zur Vertiefung
Rechtliche Hinweise vorab
Bitte beachten Sie:
Dies sind Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Die verlinkten Seiten wurden zum Zeitpunkt der Verlinkung auf mögliche Rechtsverstöße überprüft. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten ist jedoch ohne konkrete Anhaltspunkte einer Rechtsverletzung nicht zumutbar. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden wir derartige Links umgehend entfernen
Online-Artikel
175. Geburtstag der Fotografie: Als die Bilder bleiben lernten
Wolfgang Kemp, Süddeutsche Zeitung, 19. August 2014
Publikation
Wolfgang Kemp, Hubertus v. Amelunxen (Hg.): Theorie der Fotografie I-IV, 1839–1995
München 2006