18. März 2022
Es werde Licht! Lampen und Leuchten in Fotografien von Hans Finsler
Die Sach- oder Objektfotografie dient, wie der Name sagt, der Darstellung von Dingen, Sachen und Objekten. Doch was, wenn die darzustellende Sache optisch nicht greifbar ist, wie beispielsweise der Duft eines Parfums? Fotografen fanden eine Lösung in der Wiedergabe eines anderen Objekts, welches das eigentliche, hier den Duft des Parfums, repräsentiert. So wird etwa ein Model im Businessanzug gezeigt und dazu verhältnismäßig klein die Parfumflasche. Teils geht die Sachfotografie sogar noch einen Schritt weiter, indem nämlich das eigentliche Produkt gar nicht gezeigt wird, so etwa bei Zigarettenwerbung. Die Fotografie vermittelt stattdessen ein Lebensgefühl, das im Konsum beispielhaft für das Produkt steht oder damit in Verbindung gebracht werden soll.
Und wenn nun besagte, optisch nicht greifbare Sache, die Seele der Fotografie – das Licht – selbst ist? Schauen wir auf die Lösungen eines Meisters und Vaters der Sachfotografie: Hans Finsler (1891–1972).
Zunächst fallen da im Zusammenhang mit Licht die Fotografien „Elektrische Birne“, 1928, und „Elektrische Birne mit Teilen der Fassung“, 1928, ins Auge. Bei beiden Darstellungen legte Finsler den Fokus mittels Beleuchtung und Hell-Dunkel-Kontrasten auf die Materialität und Beschaffenheit der Objekte. So ist auf beiden Fotografien der Schatten der Glühbirne zu sehen, welcher die Struktur des Glases, aber auch die Form der Fassung als Silhouette hervorhebt. Auch der Firmenschriftzug „Osram“ wird erst im Schatten lesbar. Bei der „Elektrische[n] Birne mit Teilen der Fassung“ erhält der Betrachter ein genaues Verständnis, wie die Fassung der Glühbirne aufgebaut ist. Finsler geht dabei sehr detailliert vor, selbst das Stromkabel ist angeschnitten und die Schichten der Dichtung sowie der Draht sind sichtbar. Dabei zeigen die Fotografien selbst kein Licht. Stattdessen wird es durch die Glühbirnen repräsentiert, welche den technischen Hintergrund thematisieren und durch Finslers Darstellungsweise vom Betrachter nahezu wie eine Blaupause gelesen werden können.
1929 erhielt Finsler den Auftrag, die neuen Jupiterlampen für einen Werbekatalog zu fotografieren. In der Fotografischen Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) finden sich zwei Motive solcher Lampen in einer naturalistischen und einer fast abstrakt wirkenden Aufnahme. „Jupiterlampen, reale Aufnahme“ zeigt die Lampen jeweils in einer Bildhälfte: Die obere ist diagonal nach unten positioniert – zudem ist ihr Stativ erkennbar –, die untere horizontal im Profil. Im „unrealen Detail“ zeigt Finsler die Lampen diagonal eng beieinanderstehend und weitestgehend abstrahiert, sodass jegliche Raumwirkung aufgehoben wird. Auf den ersten Blick könnte man eher eine Montage geometrischer Formen zu erkennen meinen.
Und was hat es nun mit dem Licht auf sich? Finsler lässt dies nicht etwa von Studioleuchten kommen. Nein: Es kommt von den Jupiterlampen selbst! Vor den Lampentrichtern befinden sich in kurzem Abstand Reflektoren, deren Form exakt an die Lichtkegel der Lampen angepasst sind. Sie dienen der Stilisierung des Lichtkegels. Finsler beleuchtet nicht, sondern lässt die Lampen selbst leuchten.
Bei der Indi-Stehleuchte der Leuchtenserie von Sigfried Giedion (1888–1968) und Hin Bredendieck (1904–1995) von 1932 ging er sogar noch einen Schritt weiter. Trotz des Auftrags, die Leuchte auch gleichzeitig in ihrer Handhabung zu zeigen, entschied er sich in seiner ersten Aufnahme für eine Aufsicht direkt in den Leuchtentrichter. Wie schon bei den Jupiterlampen, war bei dieser Arbeit die Leuchte selbst Lichtquelle. Das Ergebnis ist ein äußerst abstraktes Bild: Vom überbelichteten Weiß der Glühbirne stuft sich das Licht weich über Grautöne bis ins Schwarz ab. Die einzig ‚realistische‘ Note, die die Fotografie in Verbindung mit der Stehleuchte bringt, ist die Firmenmarke im Inneren des Trichters.
Eine weisse Schicht wird durch auffallendes Licht schwarz. Weiss wird Schwarz / Licht wird Dunkelheit / Tag wird Nacht. Die Nacht ist die Umkehrung, das Negativ des Tages. […] Projiziert man das Bild der Nacht, das Negativ, wieder auf eine weisse fotografische Schicht, so entsteht das ursprüngliche Bild des Tages, das Positiv. Licht wird Licht / Dunkelheit wird Dunkelheit / Tag wird Tag.
“
Diese Methode erinnert an eine Studie Finslers aus den 1920er-Jahren. Ohne Objektiv ließ Finsler Licht auf das Negativ fallen. Das Ergebnis war beim Negativ ein schwarzer Kreis inmitten von Weißem und beim Positiv ein weißer Kreis inmitten von Schwarzem.
Und außerhalb der Sachfotografie? Da kommt bei Hans Finsler insbesondere die Züricher Lichtwoche von 1932 in Frage und unter all den hervorragenden Fotografien aus unserer Perspektive besonders das „Karussell im Lunapark beim Bellevue“. In einem ‚Dutch Angle‘ (schräge Kameraperspektive) fotografierte Finsler das Karussell in Langzeitbelichtung. Die zahlreichen Lichter formen sich zu Ellipsen. Doch würde man diese Ellipsen ohne Titel und aus der Serie genommen als Karussell identifizieren? Vielleicht. Doch was man wirklich sieht, sind kreisförmige Linien aus Licht. Eine faszinierende Art, das Thema der Züricher Lichtwoche in ihrem Kern so festzuhalten und zu abstrahieren – ganz im Sinne Finslers und der Fotografie des ‚Neuen Sehens‘, das Wesen des Lichts erst durch seine eigene Bewegung darzustellen.