17. Juli 2021
Happy Feininger-Day!
Heute vor 150 Jahren wurde Lyonel Feininger (1871–1956) geboren.
Wahrscheinlich bedarf es keiner dezidiert einführenden Worte zu dem Maler, Grafiker, Zeichner und Fotografen, dem „Meister der Formenlehre“ und Leiter der Druckgrafikwerkstatt am Staatlichen Bauhaus in Weimar – dem feinen Geist in der Kunst der Klassischen Moderne, der weder Expressionist noch Kubist, sondern selbstbezeichneter „Prismaist“ war.
Kurzbiografie
* 17.07.1871
geboren in New York
1887
Reise nach Deutschland, in der Folge Besuch der Allgemeinen Gewerbeschule in Hamburg, später der Kunstakademie zu Berlin und 1892 der Pariser Académie Colarossi
sukzessiver Aufstieg zu einem der gefragtesten Karikaturisten Deutschlands
1901
Heirat mit der Pianistin Clara Fürst, Kinder: Lore (1901–1991) und Marianne (1902–1999))
ab 1905
Hinwendung zur Druckgrafik
1907
erste Gemälde
1907
Heirat mit der Künstlerin Julia Berg, Kinder: Andreas (1906–1999), Laurence (1909–1976) und Theodore Lux (1910–2011)
1917
erste Einzelausstellung in der Berliner Galerie „Der Sturm“
1918–1920
intensive Beschäftigung mit dem Holzschnitt
1919–1933
am Staatlichen Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin
1929–1931
Arbeit an den Halle-Bildern
1932
Retrospektive zu Feiningers 60. Geburtstag im Berliner Kronprinzenpalais
1933
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten fiel auch das Schaffen Feiningers unter deren kulturpolitisches Verdikt der „Entartung“. 1937 wurden 378 Werke aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt.
1937
Übersiedlung in die USA
† 13.01.1956
gestorben in New York
Seine Wege führten von New York nach Berlin und Paris; nach Weimar und die thüringischen Dörfer; nach Deep und anderen Sehnsuchtsorten an der Ostsee; und ins heutige Sachsen-Anhalt nach Dessau und Halle. Betrachten wir die letztgenannte Station näher, denn sie ist untrennbar mit dem Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) verknüpft.
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Lyonel an Julia Feininger, 21.05.1929 |
Alois J. Schardt (1889–1955), Direktor des damals noch städtischen Moritzburg-Museums, vermittelte Lyonel Feininger den städtischen Auftrag, eine Halle-Ansicht als Geschenk von der Stadt für das Oberpräsidium in Magdeburg zu malen. Schardt ließ Feininger, zu dem er eine enge freundschaftliche Beziehung pflegte, im obersten Geschoss des Torturmes der Moritzburg ein Atelier einrichten, das dieser am 1. Mai 1929 bezog. Der Künstler begeisterte sich derart an den halleschen Motiven, dass nach einer Reihe von Skizzen, sogenannten Natur-Notizen, und Fotos bis 1931 ein Konvolut von 29 ausgeführten Zeichnungen und 11 Gemälden entstand. Schon während des Entstehungsprozesses beschlossen Schardt und Oberbürgermeister Richard Robert Rive (1864–1947), die ganze Serie für das Museum zu erwerben. Das Geschenk machte sich die Stadt selbst …
Besonderes Glanzstück der Serie ist das Gemälde des halleschen Doms. Die kleine Bilderstrecke verdeutlicht Feiningers gängige Arbeitsweise.
Eine erste Annäherung, schnell mit Bleistift skizziert, hält das hervorstechende Merkmal – die markanten Rundbogengiebel – fest. Eine weitere Natur-Notiz beinhaltet mit präzisem Strich bereits die wesentliche Komposition einschließlich des vorgelagerten Küsterhauses.
Eine fein ausgearbeitete Kohlezeichnung, seit 1964 in der Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne München, komplettiert die Vorstudien. Feininger erkundete die Stadt außerdem mit seiner Kamera. In der Fotografie scheint er „seinen“ Standpunkt für das Gemälde gefunden zu haben.
Interessanterweise verzichtet Feininger auf die perspektivische Kürzung des Giebels, wodurch der Dom an Monumentalität, an Erhabenheit gewinnt. Farbschicht für Farbschicht lässt das Bauwerk leuchten. Für die stille Pracht, die der Dom verkörpert, fand Feininger mit der prismatischen Zergliederung die gültige Form.
Er musste aber darum ringen, wie er am 05.05.1931 seiner Frau Julia schrieb:
„Am Dom habe ich heute sehr mit Erfolg gemalt!Mit einem Male sind Farbe und Fläche zur Einheit geworden, ich bin aus dem nur-Tonigen der Farbe heraus. Es war alles doch vorher eine dumpfe, bräunliche Soße, ohne Steigerung und Steigerungsmöglichkeit in der Farbe. In ganz wenig Zeit ist das Bild hoffentlich fertig
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Lyonel an Julia Feininger, 05.05.1931 |
Übrigens feiert auch der Dom 2021 Jubiläum: 750 Jahre! 1271 begannen Dominikaner mit dem Bau einer Klosterkirche. 600 Jahre später wurde Lyonel Feininger geboren, um aus heutiger Perspektive vor 90 Jahren das Gemälde von eben jenem Dom vollendet zu haben.
Das Programm zum Domjubiläum auf der Website der Domgemeinde Halle
Feiningers Halle-Bilder stellen einen Höhepunkt seines Wirkens in Deutschland dar. In der Reihe finden sich Werke, die noch an die kristallinen Arbeiten der 1920er Jahre erinnern (wie der Dom), und parallel bereits Bilder, die mit stärker differenzierten Farbflächen und einer gesteigerten Isolierung des Motivs auf die sich ab 1937 in den USA vollziehende Entwicklung verweisen. Im Zuge der Aktion „entartete Kunst“ beschlagnahmten die Nationalsozialisten am 08.07. und 21.08.1937 neben vielen anderen Werken des Museums auch alle 11 Halle-Bilder Feiningers. Jedes der Gemälde ging in der Folgezeit einen anderen Weg.
Für die umfangreiche Schau zur Sammlungsrekonstruktion „Bauhaus Meister Moderne. DAS COMEBACK“ gelang 2019 die Wiedervereinigung von 7 Gemälden des Halle-Zyklusses in den Ausstellungsräumen der Moritzburg!
Weitere Informationen zur Sonderausstellung
Die Anfang 2020 neu gestaltete Sammlungspräsentation „WEGE DER MODERNE“ ermöglicht es seitdem, die drei im Laufe der Jahre zurückerworbenen Halle-Ansichten zu sehen. Vorübergehend ergänzt wird das Trio Marienkirche mit dem Pfeil, Roter Turm I und Der Dom in Halle um die Leihgabe Roter Turm II aus der Stiftung Sammlung Ziegler im Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr.
Aktuelle Ausnahme stellt Feiningers Marienkirche mit dem Pfeil von 1930 dar. Noch bis 09.01.2022 befindet sich das Gemälde als Leihgabe in der Sonderausstellung „Becoming Feininger“ in der Lyonel-Feininger-Galerie in Quedlinburg. Die umfangreiche Schau bildet das gesamte Schaffen des Künstlers anhand von 160 Werken in chronologischer Reihenfolge ab. Die große Besonderheit der Jubiläumsausstellung liegt in der Zusammenführung dreier bedeutender Feininger-Sammlungen: der hausansässigen Sammlung Dr. Hermann Klumpp, der 2019 gegründeten Stiftung Lyonel-Feininger-Sammlung Armin Rühl sowie unserer Feininger-Sammlung.
Für Feininger-Frischlinge, Feininger-Fortgeschrittene und Feininger-Fans ein Muss!
Empfehlungen zur Vertiefung
Kinderbuch
Das Fahrrad des Malers
Es ist die Geschichte von Leo, der Künstler werden möchte und von einer großen Ausstellung in einem Museum träumt. Inspiriert wurde die Geschichte durch die Biografie Lyonel Feiningers.
Das Bilderbuch mit Illustrationen von Robert Voss und Texten von Annette Fischer erscheint am 17. Juli und kann über die Lyonel-Feininger-Galerie erworben werden.
Christian Philipsen in Verbindung mit Gloria Köpnick (Hrsg.), Quedlinburg: Lyonel-Feininger-Galerie 2021
Publikationen
Lyonel Feininger. Porträt eines Lebens
Andreas Platthaus, Berlin: Rowohlt, 2021
Bauhaus Meister Moderne. DAS COMEBACK
Christian Philipsen in Verbindung mit Thomas Bauer-Friedrich (Hrsg.), Band 20 der Schriften für das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Leipzig: E. A. Seemann Verlag, 2019 (Ausst.kat.)