15. Januar 2022

„Von einer freien Kunst zur diktierten Propaganda“ | 1953: Dritte Deutsche Kunstausstellung in Dresden

Zum Gedenktag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar 1919

 

 

Denn es geht in dieser Ausstellung um die Darstellung der neuen ‚fortschrittlichen Inhalte‘ dessen, was nun Kunst genannt wird. Um Sturmfahnen über Barrikaden, um ins Horn stoßende, junge Pioniere, um schwerterklirrenden Patriotismus, um Volkspolizisten, die mit dem Gewehr in der Hand über das Lächeln des Aktivisten wachen. Da wird in riesigen Formaten getrommelt, marschiert und demonstriert, da fahren die von den sowjetischen Freunden gelieferten Traktoren über die Thüringer Kolchosfelder, und die einstigen Bauern stehen dabei und bewundern mit leuchtenden Augen, wie tief die Furche durch das Erdreich zieht. […]

Es sei jedoch nicht verschwiegen, daß es auch einiges Düsteres gibt: Da wird gestreikt, aber natürlich nur in Hamburg. Da knüppelt die Polizei, aber selbstverständlich in Düsseldorf. Und da brodelt der Aufstand des Volkes, da werden Resolutionen gesammelt gegen die Unterdrücker; aber das geschieht in Essen. […]

Die Ergebnisse dieser Arbeit, die sich nun in Dresden präsentieren, werden als ‚sozialistischer Realismus‘ gepriesen. Ihn zu betrachten – meinen die Ostzeitungen – entspreche der frühlingshaften Freude in Faustens Osterspaziergang.


Waldemar Honer: Malerbrigaden sorgen für Optimismus, DIE ZEIT, Nr. 11/1953

 

 

 

Die Vorgeschichte

 

Käthe Kollwitz: Gedenkblatt für Karl Liebknecht, 1919–1920, Holzschnitt auf Japan 355 x 499 mm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

 

Am heutigen Abend vor 103 Jahren wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg (beide 1871 geboren) von Angehörigen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division in Berlin ermordet. Die Täter waren Mitglieder eines rechtsgerichteten Freikorps, das nach der Novemberrevolution 1918 aus der genannten Division hervorgegangen war. Die Division war einer der Hauptakteure der Niederschlagung der Januarkämpfe vom 5. bis 12. Januar 1919 in Berlin, des sogenannten Spartakusaufstands. Die Auseinandersetzungen wurden von der KPD und der USPD angeführt. Ihre Identifikationsfiguren waren Liebknecht und Luxemburg als öffentlich wahrgenommene Genossen. Entsprechend groß waren der Hass gegen die beiden in rechten Kreisen und die Ablehnung durch die SPD-geführte Regierung. Als symbolisches Exempel wurden sie am 15. Januar 1919 auf Befehl des Generalstabsoffiziers Waldemar Pabst (1880–1970) wider alle rechtlichen Grundlagen kaltblütig ermordet. Heute erinnern am Neuen See und an der Lichtensteinbrücke, deren parallellaufender Steg 2012 Rosa-Luxemburg-Steg benannt wurde, an die Orte des Geschehens.

 

 

In ihrem Selbstverständnis als sozialistischer Arbeiter- und Bauernstaat definierte sich die 30 Jahre später, am 7. Oktober 1949, gegründete DDR besonders in ihren frühen Jahren über die sogenannten Arbeiterführer, als deren Vermächtnisnehmer sie sich verstand. Entsprechend wurde u. a. jährlich am 2. Sonntag im Januar unter Teilnahme der höchsten Funktionsträger des Landes im Gedenken an die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg in Ost-Berlin demonstriert. Zentraler Ort der Kundgebungen war die 1951 eingeweihte Gedenkstätte der Sozialisten, an deren Stelle seit 1926 das von Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969) entworfene Revolutionsdenkmal gestanden hatte. 1935 war es auf Veranlassung der Nationalsozialisten abgetragen worden.

 

Gedenkfeier anlässlich des Jahrestages der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am 15. Januar 1978 an der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde, v. r. n. l.: Gerhard Schürer, Günther Kleiber, Horst Sindermann, Erich Honecker, Joachim Herrmann (am Mikrophon), Willi Stoph und Kurt Hager, Foto: akg-images

 

Dritte Deutsche Kunstausstellung in Dresden 1953

Die bildliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Arbeiterklasse war in der DDR ein zentrales Thema des staatlich oktroyierten Sozialistischen Realismus’, was sich in besonderem Ausmaß in der Dritten Deutschen Kunstausstellung im Frühjahr 1953 in Dresden zeigte.

Im Herbst 1946 hatte in Dresden als erste gesamtdeutsche Großausstellung nach dem Ende des „Dritten Reichs“ die Allgemeine Deutsche Kunstausstellung stattgefunden. An ihr nahmen Künstler aus allen vier Besatzungszonen teil. Gezeigt wurden zeitgenössische Werke und Arbeiten, die während der 12 Jahre nationalsozialistischer Diktatur ebenso wie vor 1933 entstanden, jedoch von den Nationalsozialisten geächtet und als „entartet“ diffamiert worden waren. Drei Jahre später folgte im Jahr der Gründung beider deutscher Staaten die 2. Deutsche Kunstausstellung.

 

Blick in den ersten Ausstellungssaal der Dritten Deutschen Kunstausstellung nach dem Foyer mit Will Lammerts großer Marx-Büste (im Hintergrund) im Dresdner Albertinum, Foto: SLUB / Deutsche Fotothek / Höhne, Erich & Pohl, Erich http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70604454

 

Zu dieser Zeit setzte in Ostdeutschland mit der Formalismus-Realismus-Debatte die neuerliche, nun stalinistische Reglementierung des Kunstbetriebs ein. Waren die ersten beiden Ausstellungen federführend von der sächsischen Landesregierung vorbereitet und durchgeführt worden, so stand die Dritte Deutsche Kunstausstellung im Frühjahr 1953 unter der Leitung der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten in Ost-Berlin, aus der 1954 das Ministerium für Kultur der DDR hervorging. Die „Dritte“ war eine hoch politisierte Ausstellung, die – anders als ihre beiden Vorgängerinnen – stattlich gelenkt den Sozialistischen Realismus als Kunstdoktrin der DDR zementieren sollte.


Künstlerbrigaden

Neben Künstlern aus Halle (Saale) wie Fritz Baust, Kurt Bunge, Jochen Seidel, Charles Crodel oder Erwin Hahs reichte auch Willi Sitte (1921–2013), dessen umfassende Retrospektive wir noch bis 6. Februar 2022 zeigen, Werke zur Dritten Deutschen Kunstausstellung ein. In einer Stellungnahme des Sekretariats der Bezirksleitung der SED in der Saalestadt wurde unter Berufung auf Walter Ulbricht (1893–1973), damals Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats und de facto mächtigster Mann im Staat, betont: „Den bildenden Künstlern fällt dabei die hohe Aufgabe zu, sich mit ihren Bildern, Skulpturen und Graphiken aktiv in diesen Kampf einzuschalten, ‚dem Leben vorauszueilen und durch ihr Schaffen Millionen Menschen für die grossen Aufgaben des Sozialismus zu begeistern.‘“ (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, P 516, Nr. IV/2/3/31, Protokoll der Sekretariatssitzung am 26.02.1953, Sekretariatsvorlage: Stellungnahme des Sekretariats der Bezirksleitung der SED Halle zur Lage in der bildenden Kunst, 11.02.1953, Blatt 131–138)

Zur Vorbereitung der Ausstellung hatte der Verband Bildender Künstler auf seinem 2. Kongress im Juni 1952 das Manifest an die deutsche Künstlerschaft verfasst und appelliert: „Wir rufen die Künstler in allen Teilen Deutschlands auf, neue Wege zu beschreiten, die zu einer realistischen Kunst führen. Wendet Euch dem Volke zu! Gestaltet und stärkt den Widerstandskampf der breiten Massen gegen die Bedrohung des Friedens!“

In der Stellungnahme der SED-Bezirksleitung heißt es weiter: „Während in der Vergangenheit das ehemalige Land Sachsen-Anhalt, und hier besonders der Bezirk Halle, als ein Zentrum der rückständigen Kräfte in der bildenden Kunst galt, hat sich auch hier eine Wendung vollzogen. […] Die Bildung des Parteiaktivs bildender Künstler bei der Bezirksleitung und die Bildung der Brigade ‚Lucas Cranach‘ ist hierbei von besonderer Bedeutung. Das bewusste Auftreten der fortschrittlichen, um den sozialistischen Realismus bemühten Kräfte hat dazu geführt, dass in der Gruppe der Formalisten ein Bruch vor sich gegangen ist. Eine Reihe von Künstlern, die vor kurzem noch starke formalistische Tendenzen in ihren Arbeiten zum Ausdruck brachten und für eine abstrakte Malerei eintraten, haben sich offen für den sozialistischen Realismus als der einzig richtigen Schaffensmethode entschieden und dem Formalismus und seinen Anhängern den Kampf angesagt.“

In der Saalestadt hatten sich 1952/53 politisch motiviert zwei Künstlerbrigaden gegründet: die Künstlerbrigade Lukas Cranach und die Hallesche Malerbrigade (siehe nachstehende Informationen).

 

Die Methode organisierter kollektiver künstlerischer Arbeit wurde in Übernahme aus der Sowjetunion staatlich gelenkt in der Sowjetischen Besatzungszone und der jungen DDR implementiert. So gründeten sich 1949 im Zuge der sogenannten Wandbildaktion im Vorfeld der 2. Deutschen Kunstausstellung 12 Künstlerkollektive, deren Aufgabe es war, zu vorgegebenen Themen aus dem 1948 verkündeten Zweijahres-Wirtschaftsplan große Wandbilder zu schaffen. Aus dem Land Sachsen-Anhalt waren damals keine Künstler beteiligt. Die heute ausnahmslos verlorenen Werke wurden 1949 aufgrund ihrer formalen Gestaltungsmittel negativ und als „formalistisch“ bewertet.

Eine zweite Künstlerkollektiv-Aktion wurde im Herbst 1952 initiiert. Sie war eine unmittelbare Folge des „Kampfs gegen den Formalismus“ und der Etablierung einer mit den politischen Zielen des Staates konformen sozialistischen realistischen Kunst. Sie ging hervor aus einer Initiative Herbert Gutes (1905–1975), damals Generalsekretär des Verbands Bildender Künstler, auf der Theoretischen Konferenz, die die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten zur Vorbereitung der „Dritten“ vom 25. bis 27. September 1952 veranstaltete. „Diese neuen Aufgaben sind nicht in künstlerischer Einzelarbeit allein zu bewältigen, sondern erfordern das gemeinsam lernende, helfende, beratende, kritisch richtende Künstlerkollektiv, eine neue gesellschaftliche Triebkraft auf dem Gebiete der kulturellen Arbeit“, hieß es in einem offenen Brief an die Künstlerschaft der DDR (zitiert nach Petra Jacoby: Kollektivierung der Phantasie? Künstlergruppen in der DDR zwischen Vereinnahmung und Erfindungsgabe, Bielefeld 2007, S. 192).

November 1952, siebenwöchiger Arbeitsaufenthalt der Künstlerbrigaden in Schloss Rammenau bei Bischofswerda, hier eine Diskussion vor Georg Kretzschmars (1889–1970) Gemälde Die Volkslehrerin (1953, Öl auf Leinwand, 118,5 x 150,7 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kunstfonds), Foto: SLUB / Deutsche Fotothek / Höhne, Erich & Pohl, Erich http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/70600008

In der Folge gründeten sich die 1. Sozialistische Künstlerbrigade, der im Oktober/November 1952 die Hochschul-Brigade in Dresden, die Wartburg-Brigade in Thüringen und die Lukas-Cranach-Brigade in Halle (Saale) folgten. Die Künstler wurden politisch geschult, mussten in gemeinsamen Diskussionen ihre Entwürfe verteidigen und bekamen vom Staat Unterkunft und Arbeitsort auf Schloss Rammenau, Arbeitsmaterialien sowie 400 Mark zur Verfügung gestellt. Von den 74 über den Jahreswechsel 1952/53 entstandenen Arbeiten wurden 51 zur „Dritten“ zugelassen und in Dresden präsentiert.

Die zeitgenössisch widersprüchlich bewertete Aktion blieb ohne Folgen. Die Anfang Januar 1953 gegründete Hallesche Malerbrigade war eine dezidierte Gegen-Gründung zur Lukas-Cranach-Brigade.

Künstlerbrigade Lukas Cranach

Gründung

Oktober/November 1952

Leitung

Karl Kothe (1913–1965)

Wissenschaftliche Mitglieder

Wolfgang Hütt (1925–2019, Kunsthistoriker), Rudolf Urbanski (Gesellschaftswissenschaftler)

Politiker

Otto Hampel (Bezirksleitung der SED), Ursula Püschel (Rat des Bezirks)

Künstlerische Mitglieder

Albert Ebert (1906–1976), Herbert Finneisen, Bernhard Franke (1922–2004), Rolf Kiy (1916–1998), Kurt Marholz (1905–1984), Wilhelm Schmied (1910–1984)

Quelle: Eig. Ber.: Künstlerbrigade „Lukas Cranach“, in: Freiheit, 16.12.1952

Hallesche Malerbrigade

Gründung

6. Januar 1953

Leitung

Otto-Heinz Werner (1914–2000, Maler, Kustos bzw. Direktor des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale))

Wissenschaftliche Mitglieder

Peter H. Feist (1928–2015)

Politiker

Steininger und Baxmann

Künstlerische Mitglieder

Fritz Baust (1912–1982), Kurt Bunge (1911–1998), Fritz Freitag (1915–1977), Karl-Erich Müller (1917–1998), Fritz Rübbert (1915–1975), Hans-Joachim Seidel (1924–1971), Willi Sitte (1921–2013) und Kurt Völker (1891–1972)

Quelle: Bildung der „Halleschen Malerbrigade“, in: Freiheit, 17.01.1953

 

Die beiden halleschen Künstlerbrigaden

Der 1947 nach Halle (Saale) gekommene Maler und Parteigenosse Willi Sitte (1921–2013) war Mitglied der Halleschen Malerbrigade, in der sich Künstler zusammengefunden hatten, die bereits in der Künstlergruppe Die Fähre zusammenarbeiteten.

 

 

Unser Bestreben war es, die Kulturfunktionäre von einem modernen sozialistischen Realismus zu überzeugen und mit entsprechenden Werken zu Ausstellungen zugelassen zu werden. Zu diesem Zweck hatten wir in Halle im Januar 1953 die „Hallesche Künstlerbrigade“ gegründet. Damals hatten sich etliche Künstlergruppen speziell zur Vorbereitung der III. Deutschen Kunstausstellung in Dresden zusammengeschlossen. Es sollten auf diese Weise bedeutende Werke für die Ausstellung geschaffen werden. Das Ganze war eine dumme kulturpolitische Aktion. In Halle war es die „Künstlerbrigade ‚Lukas Cranach‘“, die die Richtung der sowjetischen Kunst vertrat und sich mit entsprechenden Werken anbiederte. Unsere Brigade verstand sich als Gegengründung dazu. Wir bemühten uns zu beweisen, daß sozialistische Themen in einem formal und malerisch seriösen Realismus überzeugen können. […] Wir trafen uns, berieten und korrigierten uns, hatten aber keinen Erfolg. Wir galten als die Formalisten, und es wurde nichts von uns ausgestellt. Mein Bild „Karl Liebknecht kommt 1918 aus dem Gefängnis“ habe ich vernichtet, denn ich merkte schnell, daß ich diese Richtung nicht einschlagen wollte.


Willi Sitte 2003 in seiner Autobiografie Farben und Folgen (S. 66)

 

 

 

Liebknecht-, Luxemburg- und Thälmann-Bilder für die Dritte Deutsche Kunstausstellung

 

Willi Sitte: Karl Liebknecht kommt aus dem Gefängnis 1918, 1952, Öl auf Sperrholz, 135 x 100 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) Foto: Punctum/Bertram Kober © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

 

Mit seinem letzten Satz irrte sich Willi Sitte 2003 grundlegend. Sein Liebknecht-Gemälde hatte er nicht vernichtet. Vielmehr hatte er es 1953 unserem Museum übereignet und im Gegenzug sein Gemälde Vor der Gießwanne (1949, verschollen) zurückerhalten. Der damalige Museumsdirektor, Otto-Heinz Werner (1914–2000), der gleichzeitig die Leitung der Halleschen Malerbrigade innehatte, erinnerte sich in einem Brief an den Maler 1989: „Wir wechselten ja auch oft Deine Arbeiten im Museum aus, bzw. behielten wir typische für die Sammlungen, was nicht immer ohne Ärger abging. Ich denke da an das ‚Karl-Liebknecht-Bild‘, das man in Dresden ablehnte und ich zum Verdruß von Herrn Hoffmann sehr zentral im halleschen Museum platzierte.“ (Brief 25.06.1989 im Deutschen Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, Fonds Willi Sitte, Bestand 829, Nr. 30)

Mit seinem Liebknecht-Bild versuchte Sitte bewusst, ein Werk zu schaffen, das der staatlichen Kunstpropaganda entsprechen sollte. Wie sich diese Propaganda artikulierte, wird aus einem Artikel in der lokalen Tageszeitung, der Freiheit, deutlich: „Erst nachdem sie sich in den Brigaden […] zu Aktionseinheiten zusammengeschlossen hatten, konnten nun in Sachsen-Anhalt im Kampf gegen den zersetzenden Formalismus, gegen diese Fäulniserscheinung des Monopolkapitalismus, entscheidende Erfolge errungen und dem sozialistischen Realismus zum Durchbruch verholfen werden.“ („Die nächsten Ziele unserer Künstlerbrigaden (Pläne für Hallesche Malerbrigade)“, Freiheit, 26.02.1953, S. 3) Sittes Beitrag in Vorbereitung der Dritten Deutschen Kunstausstellung war sein Liebknecht. Das Gemälde zeigt den Arbeiterführer nach seiner Amnestierung und Entlassung aus dem Gefängnis im brandenburgischen Luckau im Moment der Ankunft in Berlin am 23. Oktober 1918 im Kreise seiner Anhänger vor dem Berliner Stadtschloss. Künstlerisch wählte Sitte eine seinen anderen zeitgenössischen Arbeiten diametral entgegenstehende Stilistik: keinerlei „Modernismen“, sondern eine realistische Darstellung des historischen Moments in einer tonigen, an das 19. Jahrhundert erinnernden Malweise.

 

Fritz Baust: Ernst Thälmann 1930, 1952, Öl, 270 x 165 cm, Verbleib unbekannt, Foto: SLUB / Deutsche Fotothek / Unbekannter Fotograf http://www.deutschefotothek.de/documents/obj/30121445 © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

 

Zu Beginn des Jahres 1953 präsentierten die Künstler beider hallescher Künstlerbrigaden ihre Arbeiten im Kunstmuseum in der Moritzburg und stellten sich der öffentlichen Aussprache. So zeigte wohl auch Sittes Malerfreund Fritz Baust sein großformatiges Thälmann-Bild, das ebenfalls von der Dresdner Jury abgelehnt worden war. Die lokale Freiheit berichtete: „Aus der Fülle der geschaffenen Bilder wurden in gemeinsamer Diskussion die besten Werke für die III. Deutsche Kunstausstellung ausgewählt und nach Dresden verschickt, wo in den nächsten Tagen ein Erfahrungsaustausch aller fünf Künstlerbrigaden der Deutschen Demokratischen Republik stattfinden wird.“ („Bilder für die III. Deutsche Kunstausstellung“, Neues Deutschland, 03.02.1953, S. 4) In der Zeitung hieß es weiter: „Wenn die gezeigten Porträts von Karl Marx und Ernst Thälmann und die Historienbilder ‚Karl Liebknecht nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis (1918)‘ […] auch noch in keinem Falle als fertige Lösungen zu betrachten sind, so ist doch mutig ein neuer Weg beschritten worden.“ („Wir sahen die Bilder unserer Maler für die 3. Deutsche Kunstausstellung in Dresden“, Freiheit, 03.02.1953, S. 5)

 

Etikett und Beschriftung auf der Rückseite von Willi Sittes Gemälde Karl Liebknecht kommt aus dem Gefängnis 1918, Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

 

Wie ein auf der Rückseite von Sittes Liebknecht-Gemälde befindliches Etikett belegt, hatte er das Bild zur Dresdner Kunstausstellung eingereicht. Da die Ausstellung staatlich kontrolliert war, wurden alle Arbeiten von einer Jury begutachtet und ausgewählt. Da es im Katalog jedoch nicht verzeichnet und auf Raumaufnahmen nicht zu sehen ist, ist davon auszugehen, dass es, wie sich der Künstler selbst erinnert, ausjuriert wurde.

 

 

Wohl ebenfalls im Kontext der Dritten Deutschen Kunstausstellung entstanden zwei Zeichnungen Willi Sittes mit dem Titel Bergung der Leiche Rosa Luxemburgs. Eine von ihnen befindet sich seit 1984 in den Kunstsammlungen Gera. Laut Katalog der Handzeichnungen des Museums ist sie eine „Entwurfsskizze zu einem Gemälde (nicht ausgeführt)“. Möglicherweise schuf Sitte das Rosa-Luxemburg-Gemälde ebenfalls im Kontext seiner erhofften Teilnahme an der „Dritten“, denn in der Zeitschrift des Verbands Bildender Künstler Das Blatt wird im Juli 1956 zumindest ein heute nicht mehr belegbares Bild Rosa Luxemburg im Gefängnis erwähnt.

In Falle der Zeichnungen entschied sich Sitte für den emotionalen Moment der Auffindung der Leiche der Ermordeten am 1. Juni 1919 an der Unterschleuse des Landwehrkanals in Berlin nur wenige hundert Meter von der Lichtensteinbrücke spreeabwärts. In beiden Arbeiten suchte der Maler in einem der Moderne verpflichteten realistischen Stil nach der richtigen Bildfindung. Im vermutlich zuerst entstandenen, weniger detailreich ausgearbeiteten Geraer Blatt hat Sitte die geborgene Leiche in der rechten Bildhälfte platziert; im Hintergrund beugt sich ein uniformierter Mann über das Geländer, an das von unten eine Leiter angelehnt ist. Von links bewegen sich zwei Frauen auf die Szene zu, rechts steht eine Gruppe Passanten noch wenig ergriffen. Im zweiten Blatt rückte Sitte die Szene mit der geborgenen Leiche ins Zentrum, links und rechts sind die Passanten in ihrer Haltung deutlich erkennbar als überrascht dargestellt. Der Betrachter wird wesentlich stärker angesprochen. Wie so oft in seinen Werken ist Sitte empathisch mit den Opfern der Geschichte – nicht mit den Siegern!

 

 

Parallel zu seinem Liebknecht-Bild malte Sitte Werke wie den Raub der Sabinerinnen oder die Danaӫ. Größer lassen sich die stilistischen Gegensätze kaum denken: Moderne-Rezeption auf der einen, konservativer Realismus auf der anderen Seite. In der Zusammenschau belegen beide Pole die Fähigkeit des Künstlers, anlassbezogen eine Formensprache zu wählen und zeitgleich verschiedene stilistische Klaviaturen zu spielen.
 

Beiträge anderer hallescher Künstler zur Dritten Deutschen Kunstausstellung

Mit seinem Satz: „Wir galten als die Formalisten, und es wurde nichts von uns ausgestellt.“ irrte Willi Sitte im Rückblick 2003. Zwar selektierte die Jury unter dem Vorsitz der Maler Otto Nagel (1894–1967, Nationalpreisträger und Mitglied der Akademie der Künste), Carlo Mense (1886–1965, für Westdeutschland) und Werner Laux (1902–1975, für Ostdeutschland, Direktor der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee) mit Blick auf die kulturpolitischen Vorgaben, doch waren Mitglieder beider hallescher Künstlerbrigaden mit Arbeiten vertreten: von der Künstlerbrigade Lukas Cranach Paul Kothe und Wilhelm Schmied, von der Halleschen Malerbrigade Karl-Erich Müller und Hans-Joachim Seidel.

Es fällt jedoch deutlich auf, dass Maler aus Halle (Saale) so gut wie gar nicht vertreten waren. Von 425 beteiligten Künstlerinnen und Künstlern kamen gerade einmal vier aus der Saalestadt: Neben Müller und Seidel waren dies Werner Büttner (1915–?, Kat.-Nr. 54, Mittelgebirgslandschaft) und Gustav Weidanz (1889–1970, Kat.-Nr. 552, 6 Bildnis-Plaketten). Von Müller war ein Porträt seines halleschen Malerkollegen Kurt Völker zugelassen worden (Kat.-Nr. 366), von Seidel die Darstellung eines Arbeitskollektivs Vor dem Einsatz (Kat.-Nr. 451). Ein ähnliches Motiv hatte Wilhelm Schmied von der Cranach-Brigade mit der Großbaustelle Thomas-Müntzer-Schacht (Kat.-Nr. 486) aus seiner Heimat Sangerhausen beigesteuert.

 

 

Viel Anerkennung fand das Bildnis des Parteiveteranen Gustav Schlichtholz (Kat.-Nr. 295) des aus Coswig stammenden Karl Kothe – Leiter der Künstlerbrigade Lukas Cranach. Es zeigt den Tischlermeister Gustav Schlichtholz aus Flatow [Złotów im heutigen Polen], der als SPD-Mitglied 1918 in seiner Heimat an der Novemberrevolution beteiligt und Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats war, vor einer städtischen Baukulisse à la Stalinallee – dem verdienten Lohn eines Parteiveterans. Das Gemälde erhielt im Katalog eine ganzseitige Abbildung, Kothe den ersten Preis und die Genossen von der halleschen Bezirksleitung der SED lobten es als beispielgebend. Die ausjurierten Marx-, Thälmann- und Liebknecht-Bilder von Seidel, Rübbert, Bunge und Sitte stuften sie hingegen als Negativbeispiele ein, weil die wissenschaftliche Erarbeitung des Themas „nicht oder nur ungenügend“ erfolgte und die Arbeiten daher „schwach und unfertig“ seien: „Die Gestalt Ernst Thälmanns vereinigt nicht diese hervorragenden Charakterzüge, die den Führer des deutschen Proletariats auszeichnen.“ (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, P 516, Nr. IV/2/3/31, Protokoll der Sekretariatssitzung am 26.02.1953, Sekretariatsvorlage: Stellungnahme des Sekretariats der Bezirksleitung der SED Halle zur Lage in der bildenden Kunst, 11.02.1953, Blatt 131–138)


Ein Sitte, der ein Rübbert ist

Im Vorfeld der Dritten Deutschen Kunstausstellung fand in der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR eine Neuausrichtung insofern statt, als dass man bewusst auf positive Entwicklungen und Ereignisse in der Vergangenheit rekurrierte, die auf die Gründung der DDR hinauslaufend interpretiert wurden: der Bauernkrieg 1525, die Befreiungskriege 1813 und die Revolutionen 1848 und 1918. In diesem Kontext waren auch Darstellungen der Arbeiterführer und sozialistischen Vordenker bedeutsam. So schufen die genannten Seidel, Rübbert, Bunge und Sitte, aber auch Fritz Baust entsprechende Werke. Eine sehr interessante Geschichte hat in diesem Zusammenhang das Marx-Bildnis, das Fritz Rübbert zur „Dritten“ einreichte und das ausjuriert wurde.

Hiervon berichtet der Audioguide unserer Sonderausstellung Sittes Welt:

Zum Audioguide

 

 

Von den zahlreichen eingereichten Marx-Porträts – 1953 war aufgrund des 70. Todestages des Philosophen ein Marx-Jahr – wurde Will Lammerts (1892–1957) Bronzebüste repräsentativ im Foyer des Dresdner Albertinums platziert und im Katalog als Frontispiz-Abbildung reproduziert. Über das Jahr 1953 arbeitete Willi Sitte auch an einer eigenhändigen Marx-Darstellung: sein nicht erhaltenes Gemälde Marx liest vor, für das er im Herbst desselben Jahres den erstmals vergebenen Kunstpreis der Stadt Halle (Saale) in der ersten Klasse verliehen bekam.

 

Willi Sitte: Marx liest vor, 1953/54, Öl auf Leinwand, 145 x 190 cm, übermalt bzw. zerstört, Foto: Ausst. Kat. Kunstausstellung des Verbandes Bildender Künstler Deutschlands, Bezirk Halle (Saale), 1954 © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

 

„Von einer freien Kunst zur diktierten Propaganda“

Mit diesen Worten endete im März 1953 der am Beginn dieses Blogs zitierte Bericht Waldemar Honers über die Dritte Deutsche Kunstausstellung in der DDR in der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT. Honers Artikel traf bei aller pointierten Zuspitzung den Eindruck, den Katalog und Raumaufnahmen noch heute – knapp 70 Jahre später – von der „Dritten“ vermitteln. Die Ausstellung war eine erste große publikumswirksame Manifestation im Zuge der Durchsetzung einer stalinistischen Kulturpolitik in der jungen DDR, in deren Selbstverständnis die „richtige“ Kunst nicht mehr frei war, sondern „dem Volk“ zu dienen hatte. Entsprechend empfing ein großes Transparent über dem Eingang zum Dresdner Albertinum die Besucherinnen und Besucher mit der Losung: „Die Kunst gehört dem Volke“.

 

 

So hatte es Otto Grotewohl (1894–1964, seit 1950 Ministerpräsident der DDR) zur Eröffnung der Ausstellung verkündet. Im Katalog wurde er einführend zitiert: „Ein Volk ist nichts ohne eine echte große Kunst. Darum gilt in gleicher unumstößlicher Weise auch die Umkehrung: Die Kunst ist nichts ohne das Volk. […] Deshalb verlangt das Volk von seinen Künstlern Parteinahme, Parteinahme für seine Sache, Parteinahme für die Sache der Arbeit, denn die Sache der Arbeit ist die Sache der Kultur.“

Die im Grundgesetz unseres Landes verankerte Freiheit der Kunst war in den 1950er Jahren in der DDR zugunsten einer kommunistischen „Einheit von Politik und Kunst“ massiv unterdrückt worden. Von den Folgen dieses Irrweges für die Lebensläufe der Künstlerinnen und Künstler und ihre Werke berichtet unsere umfassende Retrospektive Sittes Welt!

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