13. September 2020

Hans Finsler und „Most“ 

Zum Internationalen Tag
der Schokolade

Am Internationalen Tag der Schokolade widmen wir uns heute ganz den halleschen Most Schokoladenfabriken, gesehen durch die Kamera des legendären Fotografen Hans Finsler (1891–1972). 1927 erhielt er den Auftrag, Herstellungsprozesse und Produkte des Schokoladenfabrikanten Most zu fotografieren. 1929 erschienen einige der Bilder in einer Broschüre zum 70-jährigen Jubiläum der Firma Most.

 

Seit 1922 war Finsler zunächst als Bibliothekar an der halleschen Kunstschule in der Burg Giebichenstein tätig und gründete dort später die erste Klasse für Sachfotografie an einer Kunstschule. Er entwickelte eine besondere Bildsprache mit dem Ziel, das Typische, das Wesen eines Produkts zu vermitteln und gleichzeitig den Eigenheiten des fotografischen Blicks und den Möglichkeiten der Kamera gerecht zu werden. Heute gilt Finsler als einer der Hauptvertreter der sogenannten Neuen Fotografie der 1920er Jahre. Sein Nachlass befindet sich seit 1986 in der Sammlung Fotografie im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale).

In der Schokoladenmischmaschine (Wort vormerken für das nächste Scrabble-Spiel!) wird die Schokolade in Bewegung versetzt. Was wir sehen, ist keine technisch-kühle Maschinendarstellung, vielmehr kreist und fließt es, die weichen Grautöne gehen atmosphärisch ineinander über und man meint fast, den Zucker zu riechen, wie er im pudrigen Strahl herabrieselt. Mittels langer Belichtungszeiten und daraus entstehender Unschärfe gelingt es dem Fotografen, die Herstellung der cremig gerührten Masse als Prozess sichtbar zu machen. Er zeigt so das eigentliche Wesen der Maschine, ihre Aufgabe als Typisches.

Die Fotografie summiert die Bewegungs­vorgänge und die Veränderung des Lichts während der Zeit der Exposition.

Die Summierung des Lichts und die Summierung der Zeit können für das Auge nicht wahrnehmbare, aber typische Ansichten geben.

Hans Finsler, 1969


 

Auch die Aufnahme Hände beim Staniolieren zeigt einen Arbeitsprozess: Akkurat aufgereiht sieht man, wie jedes einzelne Pralinenstück sorgfältig verpackt wird. Wie neu diese visuelle Darstellungsart auf Finslers Zeitgenossen wirkte, zeigt Ernst Dannehls begeisterter Kommentar in den Hallischen Nachrichten am 1. Dezember 1928: „‘Staniolieren‘: jetzt wird es schon fast unheimlich, was für Augen man bekommt; eine Schachtel voll Konfekt, schwarz, mattglänzend, zwei Hände (was für beseelte, lebendige Finger!). Ein selbständig arbeitendes Wesen ist das geworden, die matte, schwarze Kugel hat zur Hälfte ein glitzerndes Kleid an. Das war der stärkste Eindruck. Das ist etwas Neues: Diese Arbeitsvorgänge haben ja eine unheimlich seelische Sprache, Schönheit ist in ihnen.“

 

Hauptfokus liegt jedoch auf den Produkten: Säuberlich hintereinander gereiht, grafisch strukturiert nebeneinandergelegt oder als Dreieck-Komposition in Szene gesetzt, erscheint das Firmenlogo auf den Schokoladentäfelchen von Most besonders einprägsam. Schon in den Titeln zeigt sich das „Neue Sehen“: Da ist die Rede von „Tafeln, überschneidend“ und „Tafeln, im Mauerverband gelegt“ – man sieht, wie Finsler beginnt, eine dem Produkt angemessene Formensprache zu entwickeln. Er zeigt, was im fotografischen Raum möglich ist, wie er sich durch Formen füllen und durch Ausschnitte über die Bildgrenze hinaus gedanklich erweitern lässt. Das Serielle ist auch beliebt: Je mehr Schokoladentäfelchen, desto besser.

 

Das ist nicht die übliche Aufnahmeperspektive, sondern ein neues photographisches Sehen, derart, daß das Material, das Stoffgerechte, das Wesenseigentümliche des Gegenstandes lebendig wird. […]

Die Aufnahmen sind naturgetreu, aber wie durch die Perspektive, durch die Kameraeinstellung, das eigentlich Bedeutungsvolle, das Eigenartige, das Charakteristikum des Gegenstandes zur sprechenden, lebendigen Wirkung kommt, das ist die künstlerische Aufgabe dieser Photographie.

E. Rühlicke, Hallesche Zeitung, Dezember 1928

Filigran und spielerisch kommen Pralineés und Pralinentütchen daher. Über das Grafisch-Visuelle bringt uns Finsler die Atmosphäre, das sinnliche Erlebnis des Schokolade-Essens in Erinnerung: Die feine Verpackung, das Knistern des Papiers und die Vorfreude auf das geschmackliche Ereignis als kleine Auszeit vom Alltag – alles Elemente, die den Genuss von Schokolade, der beliebtesten Süßigkeit der Deutschen, so besonders machen, dass statistisch gesehen 11,1 Kilogramm pro Verbraucher verzehrt werden. Die Schokoladenfabrik Most gibt es inzwischen zwar nicht mehr, dafür jedoch eine Sortenvielfalt, bei der für jeden etwas dabei ist. In diesem Sinne: Alles Gute zum Internationalen Tag der Schokolade!

 

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Publikation

Hans Finsler, Neue Wege der Photographie

Göltz, Klaus, Immisch, Theo, Romanus, Peter, Wendelberger, Axel (Hg.), Leipzig 1991

Publikation

Hans Finsler und die Schweizer Fotokultur. Werk, Fotoklasse, moderne Gestaltung 1932–1960

Thilo Koenig, Martin Gasser (Hg.), Zürich 2006