13. April 2022
Die Restaurierung des Rothenschirmbacher Altars
Teil IX: Die Wandlung
In den zurückliegenden anderthalb Jahren konnte dank der Unterstützung durch die Rudolf-August Oetker-Stiftung, die Freunde und Förderer des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) e. V. und private Spender der sogenannte Rothenschirmbacher Altar aufwendig restauriert und in seiner ursprünglichen Funktionalität als Wandelaltar wiederhergestellt werden.
Damit ist ein bedeutendes Werk der mitteldeutschen Holzschnitzkunst gerettet und in Teilen wiedergewonnen worden.
Herkunft und Einordnung
Der Ort Rothenschirmbach, 40 Kilometer westlich von Halle (Saale) in der Nähe der Lutherstadt Eisleben gelegen, stand seit dem 12. Jahrhundert in Verbindung mit dem Zisterzienserorden. Die Kirche St. Pankratius gehörte bis 1540 zum Kloster Sittichenbach. Das wohl im 10. Jahrhundert errichtete Gebäude wurde im März 1893 wegen Baufälligkeit und Platzmangels abgerissen. Im Dezember 1893 wurde ein Neubau geweiht. In diesem Zusammenhang gelangte der Altar 1894 in das Provinzialmuseum in Halle (Saale). Sein Ankauf für 560 Mark ist in den Akten des Museums, des heutigen Landesmuseums für Vorgeschichte, Halle (Saale), verzeichnet.
1917 wurde der Altar in einem Konvolut mit weiteren Werken der mitteldeutschen Schnitzplastik von der Stadt Halle (Saale) für das damals Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe, das heutige Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), erworben. Er wurde wahrscheinlich erstmals 1920 hier im Museum präsentiert.
Im GRASSI Museum für Angewandte Kunst, Leipzig, befindet sich mit dem Altar aus Großbardau (heute Grimma) ein Altarretabel, das etwas kleiner ist, bei einem Teil der Figuren einschließlich der zentralen Gottesmutter aber eine so große Ähnlichkeit zu den Figuren des Rothenschirmbacher Altars aufweist, dass die gleiche Werkstatt, wahrscheinlich sogar der gleiche Schnitzer angenommen werden können.
Andreas Hornemann, der für seine nicht abgeschlossene Promotion umfangreiches Material über die spätgotische Schnitzplastik in der Harz-Saale-Region gesammelt hat, ordnet die Schnitzereien des Altares einer Werkstatt zu, die auch das Annen-Retabel in der Eislebener Pfarrkirche St. Peter und Paul gefertigt hat sowie den Altaraufsatz in der Kilianskirche in Bad Lausick, der ursprünglich aus dem nahen Dorf Witznitz stammt.
Das Figurenprogramm der Schreine
Festtagsansicht = geöffneter Schrein
Wer ist Wer?
Obere Reihe links
Untere Reihe links
Obere Reihe rechts
Untere Reihe rechts
Das in Größe und Pracht außergewöhnliche Altarretabel gehört zu den besten der sächsisch- thüringischen Kunst, vor allem in den Schnitzereien. Die Figuren sind von lebhaftem, typisierendem Charakter und bis in die Details fein durchgebildet. Das Figurenprogramm umfasst eine zentrale Madonna mit dem Kind, die auf einer als Männergesicht ausgebildeten Mondsichel steht. Das Kind hält eine Birne in der Hand. Sie gilt als Zeichen der Reinheit und der Liebe zwischen Gottesmutter und Jesuskind und kommt in der Spätgotik häufiger anstelle des verbreiteteren Apfels oder der Weltkugel vor.
Am bekanntesten sind Albrecht Dürers (1471–1528) Kupferstich Maria mit der Birne (1511) bzw. sein Gemälde Maria mit der Birnenschnitte (1512), auf dem das Jesuskind eine angeschnittene Birne in der Hand hält, in die es hineingebissen hat. Der Gottesmutter des Rothenschirmbacher Altares ist in der Haltung ihrer bei der großen Restaurierung um 1930 ergänzten rechten Hand ebenfalls ein Attribut zugedacht, das jedoch nicht ausgeführt wurde.
Maria wird begleitet von vier heiligen Jungfrauen. In den Seitenschreinen stehen jeweils vier männliche Heilige. Die Gestaltung der Hintergründe gibt an Stangen hängende Teppiche mit Brokatmuster wieder. Das Schleierwerk und die Elemente der Füllung sind von großem Reichtum an ornamentaler Erfindung und im Schnitzwerk meisterhaft.
Die Gemäldeszenen
Sonntagsansicht = einmal geschlossener Schrein
Wurden die Schreinflügel mit den Figuren geschlossen, dann waren die auf ihren Rückseiten befindlichen Gemälde sichtbar, die ihre Ergänzung in den beiden dahinter befindlichen Flügeln fanden. Dieser Zustand, die erste Wandlung des Altars, ist die sogenannte Werktagsansicht. Die Malereien zeigen in jeweils vier Kompositionen links Szenen aus dem Leben Jesu, rechts Szenen aus dem Marienleben. Die Leserichtung ist jeweils im Zickzack von unten links nach oben rechts.
Was ist zu sehen?
Linke Seite
Christus am Ölberg
Geburt Christi
Auferstehung Christi
Anbetung der Könige
Rechte Seite
Ausgießung des hl. Geistes
Darbringung Christi im Tempel
Mariä Himmelfahrt
Tod Marias
Die Malereien sind wie die Schnitzereien sehr charaktervoll und setzen die Kenntnis von Martin Schongauers (um 1445/50–1491) Kupferstich Anbetung der Könige und Israhel van Meckenems d. J. (1440/45–1503) Kupferstich mit der Auferstehung Christi voraus, die beide um 1480 bekannt waren. Damit ist ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Datierung des Altars gegeben.
Die Heiligendarstellungen
Werktagsansicht = zweimal geschlossener Schrein
Wurden die beiden äußeren, hinteren Flügel ebenfalls zur Mitte geschlossen, wurden die beiden Heiligendarstellungen auf ihren Rückseiten sichtbar. Sie haben sich über die Jahrhunderte nur sehr schlecht erhalten, sodass die linke Figur nicht mehr identifiziert werden kann; rechts ist der heilige Stephanus zu sehen mit seinen Attributen Märtyrerpalme und Steinen.
Die liturgische Funktion der Wandlung des Altarretabels
Wandelbare Altaraufsätze verbreiteten sich in Mitteldeutschland im 15. Jahrhundert. Nach der Reformation waren sie weniger verbreitet. Das Öffnen und Schließen eines wandelbaren Altaraufsatzes ist in der römisch-katholischen Kirche dem Mesner vorbehalten. Allgemein verbindliche Regeln, wann der Altarschrein geöffnet wird, gab es nicht. Dies unterschied sich je nach kirchlichem Zusammenhang, nach Region und Zeitpunkt im Laufe der Jahrhunderte. Vollständig geöffnet wurde der Altarschrein vor allem zu den kirchlichen Hochfesten wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten. In der Passions- bzw. Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostersonntag wurden die Schreine komplett geschlossen und oft zusätzlich mit sogenannten Fastentüchern verhüllt oder verdeckt. Die Malereien der sogenannten Werktagsansicht waren der „Normalzustand“ der Einbindung der Altaraufsätze in die liturgischen Abläufe des Kirchenjahres.
Schreine mit doppeltem Flügelpaar, wie im Fall des Rothenschirmbacher Altars, die drei Wandlungen ermöglichen, sind vornehmlich in Norddeutschland nachgewiesen. Ältestes erhaltenes Beispiel ist das aus der Kölner Klarenkirche stammende, um 1360 entstandene Retabel im Kölner Dom. Der heute bekannteste und repräsentativste Flügelaltar ist der sogenannte Isenheimer Altar, das von Matthias Grünewald (um 1480–um 1530) zwischen 1512 und 1516 geschaffene Meisterwerk, das sich heute im Museum Unterlinden in Colmar befindet.
In der diesjährigen Fastenzeit von Aschermittwochabend (2. März) bis Ostersonntagabend (17. April) präsentieren wir den Rothenschirmbacher Altar erstmals in seinem einmal geschlossenen Zustand, sodass die restaurierten Szenen aus dem Leben Jesu und Mariä zu sehen sind. Sehen Sie hier die entsprechende Wandlung des Altars am 2. März 2022 begleitet von kurzen Vorträgen zur liturgischen Funktion und Restaurierung:
Wandlung des Rothenschirmbacher Altars
Veranstaltung vom 2. März 2022, 18 Uhr
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Die Restaurierung 2020
Der Altaraufsatz hat eine sehr bewegte Geschichte. Nach der Reformation hatte man in den 1540er Jahren die Nische mit der Madonnenfigur entfernt und an ihrer Stelle eine Kanzel eingefügt. Die Skulptur wurde über der Kanzel platziert. So war der Altaraufsatz bis Ende des 19. Jahrhunderts in Nutzung – ohne eine Wandelbarkeit – und gelangte ab 1894 in die Museen. Seine heutige Erscheinung prägen im Wesentlichen drei umfassende Restaurierungen im 20. Jahrhundert: die von Albert Leusch (1877–1954) um das Jahr 1930, die von Fritz Leweke (1901–2001) nach dem Zweiten Weltkrieg und die Klaus von Woyskis (1931–2017) zwischen 1956 und 1959. So erhielt das Objekt seine Retabelform zurück. Die Mittelnische war offensichtlich verloren. Sie wurde neu gefertigt und nimmt neben den erhaltenen Figuren auch die überlieferten Bestände an Architekturformen und Schleierbrettern auf. Dieser historische Gesamtzustand wurde durch die Restaurierung 2021 erhalten. Die Fassungen der Schreine sind in großen Teilen noch original vorhanden, aber auch durch die qualitätvollen Restaurierungen mit ihren Ergänzungen geprägt. Diese späteren Zutaten wurden nicht entfernt, sondern als Zeugnisse der Objektgeschichte in die Restaurierung einbezogen.
Sämtliche Oberflächen wurden gereinigt, Fugen und Risse gekittet und gesichert, die Farbfassungen konserviert und Fehlstellen behutsam retuschiert. Die Mechanik des Gesamtensembles wurde ertüchtigt, sodass der Altaraufsatz nunmehr erstmals seit der Reformation wieder gewandelt werden kann.
Mit dieser Restaurierung konnte ein herausragendes Beispiel mitteldeutscher Kultur der Spätgotik wiederhergestellt werden.
Der Rothenschirmbacher Altar im Museumsblog
Die Restaurierung wurde ermöglicht dank der Unterstützung durch:
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