08. März 2022
Die weibliche Avantgarde in der deutschen Medaillenkunst
Völlig selbstverständlich werden heute Kunstwerke von Frauen genauso geschätzt wie die von Männern. Dies war nicht immer so. Es ist die Folge einer Entwicklung, die erst im 20. Jahrhundert einsetzte und mit der sich grundsätzlich die Rolle der Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft veränderte. Ihre Emanzipation ist bis heute eine gesellschaftliche Herausforderung. Nicht umsonst ist deshalb seit 1911 der Frauentag ein besonderes Datum im Jahreskalender. Clara Zetkin (1857–1933) hatte den Frauentag auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz 1910 vorgeschlagen. Die Idee dazu kam aus den USA, wo schon 1909 ein erster Kampftag für das Frauenwahlrecht gefeiert wurde. Am 8. März 1917 lösten Frauen in Petrograd mit einem Streik den nach dem Julianischen Kalender als russische „Februarrevolution“ benannten Untergang des Zarenreiches aus. In Anerkennung dieses Mutes wird seit 1921 der Frauentag am 8. März begangen.
Die Emanzipation der Frauen zeigte sich Anfang des 20. Jahrhunderts auch in einer besonderen Dynamik in allen Bereichen der Kunst. Mit der Etablierung von neuen Kunstschulen öffnete sich auch die Möglichkeit einer professionellen künstlerischen Ausbildung. Zum Beispiel kam im Jahr 1916 aus Wien Maria Likarz nach Halle, um in der gerade an der hiesigen Kunstschule Burg Giebichenstein gegründeten Fachklasse „für kunsthandwerkliche Frauenarbeiten“ die Emaillekunst zu lehren. Die Bildhauerkunst blieb jedoch noch lange eine männliche Domäne. Auch wenn das Wirken der ersten Generation von Frauen hier eher unspektakulär erscheint, eroberte sich eine weibliche Avantgarde vor allem im Zusammenhang mit der schwierigen Situation des Ersten Weltkrieges ein neues Betätigungsfeld.
Zu ihnen gehören unter anderem:
Margit (von) Valsassina (1870–1955)
Pseudonym von Margarete von Thurn und Taxis, geborene Erzherzogin von Österreich; sie war neben ihren gesellschaftlichen und karitativen Aufgaben auch als Malerin und Bildhauerin tätig.
Paula von der Hude (1874–1957)
Paula von der Hude wurde in Berlin, Paris und München als Bildhauerin und Medailleurin ausgebildet und sorgte bereits auf den Großen Kunstausstellungen 1905, 1906 oder 1910 für Aufsehen. Ihr künstlerisches Werk ist auf Porträtmedaillen konzentriert.
Grete Budde (1883–1967)
Grete Budde widmete sich ebenfalls hauptsächlich dem Porträt. Die Tochter eines Hutfabrikanten wirkte hauptsächlich in Halle. Zur Zeit zeigt die Kustodie der Martin-Luther-Universität eine umfangreiche Ausstellung ihrer Werke und die Ausstellung ist Teil von „Frühling in Halle (Saale): Spektrum Bildhauerei“.
Etha Richter (1883–1977)
Etha Richter ist insbesondere als Tierbildhauerin bekannt und konnte erste Werke bereits 1903 verkaufen.
Lissy Eckart (1891–1974)
Lissy Eckart studierte an der Kunstgewerbeschule und Kunstakademie in München, wurde 1918 mit einer Silbermedaille der König-Ludwig-Stiftung Nürnberg und 1921 mit einer Goldmedaille in München ausgezeichnet.
Elisabeth von Esseö (1883–1954)
Elisabeth von Esseö nahm 1928 erfolgreich am Kunstwettbewerb für die Olympischen Sommerspiele in Amsterdam teil.
Katharina Heise (1891–1964)
Pseudonym Karl Luis Heinrich Salze, studierte an der Magdeburger Kunstgewerbeschule und an der Pariser Académie Ranson. Erste expressionistische Holzschnitte veröffentlichte sie in der Zeitschrift Die Aktion. Die Anregung zur Hinwendung zur Bildhauerei erfolgte durch Käthe Kollwitz.
Alle hier beispielhaft benannten Künstlerinnen entstammen wohlhabenden Familien, die ihnen eine fundierte Ausbildung und das Dasein als freie Künstlerinnen ermöglichten. Mit ihren individuellen Handschriften sind ihre Werke ein unverzichtbarer Teil der deutschen Medaillenkunst und in wichtigen Sammlungen vertreten. Die Medaillensammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) gehört zweifellos zu den bedeutendsten Sammlungen dieser Art in Deutschland. Im Jahr 1993 wurde mit der in Halle und Bonn präsentierten Ausstellung „Medaillenkünstlerinnen in Deutschland. Kreativität in Geschichte und Gegenwart“ das Thema erstmals aufgegriffen.
Die besondere Situation für viele Künstler im Ersten Weltkrieg (1914–1918) führte zu einer Hinwendung vieler Bildhauer zur Reliefkunst. Neben der Erinnerung dominierten intime und private Themen, insbesondere sensible Porträts von Familienmitgliedern und Freunden das jeweilige Schaffen. Die Darstellung von Tieren mit einer besonderen Charakterisierung ihrer typischen Erscheinung ist eine gestalterische Herausforderung. Hier und in den Bildnissen zeigt sich die besondere Meisterschaft der Künstlerinnen.
Die Medaillenkunst kann inzwischen auf eine 500 Jahre währende Tradition verweisen. In diesem Metier tätige Frauen lassen sich bereits im Mittelalter nachweisen. Im Jahr 1377 wird die Münzerin Agnes in den Regesten der Münze Wien erwähnt. In Prag war von 1594 bis 1600 Susanne Erker von Schreckenfels als Münzmeisterin tätig; in den Jahren 1636 und 1637 führte dort Dorothea Schusterin die Geschäfte. Üblich war auch die zünftische Regel, dass verwitwete Goldschmiedinnen die Werkstätten ihrer verstorbenen Männer bis zur Wiederverheiratung oder der Übergabe an einen Sohn weiterführen konnten.
Im 18. Jahrhundert wurden immer mehr Frauen als Stempelschneiderinnen, Medailleurinnen, Steinschneiderinnen oder Wachsbossiererinnen bekannt. Dazu gehört zum Beispiel die Medailleurin Susanna Maria Preisler, geborene Dorsch (1701–1765), deren beide Töchter Anna Maria und Anna Felicitas die Kunst des Steinschneidens ebenfalls ausübten. Auch die Tochter des Goldschmieds Georg Pfründt, Anna Maria Braun (1642–1713), war nicht allein wegen ihrer Berufung an den Wiener Hof eine Ausnahmeerscheinung in dieser Kunstgattung. Ebenso ist die zwischen 1761 und 1764 in Hanau tätige Stempelschneiderin Charlotte Rebecca Damisel und die in Rom zwischen 1677 und 1704 tätige Beatrice Hameran (Hermannskircher) zu erwähnen. Zu den bedeutendsten deutschen Medaillenkünstlerinnen zählt zweifellos Angelica Facius (1806–1887), die unterstützt von Johann Wolfgang von Goethe von ihrem Vater Friedrich Wilhelm Facius in Weimar und bei Christian Daniel Rauch in Berlin ausgebildet wurde und ab 1834 das künstlerische Erscheinungsbild der Weimarer Klassik mitprägen konnte.
Diese Beispiele sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Berufe des Medailleurs und des Bildhauers über viele Generationen hinweg fast ausschließlich von Männern dominiert wurden. Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden Frauen ganz selbstverständlich freiberuflich und die Kunst insgesamt so bereichernd als Künstlerinnen tätig.