08. März 2021
Frauen und Fotos. Der weibliche Blick durch die Kamera
Zum Weltfrauentag
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Frauen
fotografieren
anders.
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... so schreibt die Kunstwissenschaftlerin und Kuratorin Gabriele Muschter (*1946) in ihrer 1989 erschienenen Publikation „DDR Frauen fotografieren“. Den von ihr vorgestellten Fotografinnen aus dem Osten Deutschlands attestiert sie eine mit dem Leben verwobene Wahrhaftigkeit in der Bildfindung. Die Aufnahmen, auf die sie sich bezieht, stammen vorrangig aus den 1980er Jahren.
Wir nutzen heute den Internationalen Frauentag, der übrigens seit genau 100 Jahren am 8. März stattfindet, um Bilder von drei dieser Künstlerinnen aus der Sammlung Fotografie des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) vorzustellen: Sibylle Bergemann, Tina Bara und Gundula Schulze Eldowy. Nicht, dass damit eine umfassende Einsicht in alle fotografisch relevanten Bestände von Frauen in der Sammlung gegeben wäre, auch brauchen die vorgestellten Künstlerinnen nur bedingt eine Einführung.
Sibylle Bergemann (1941–2010) war eine der bekanntesten Fotografinnen der DDR und nach der Wende Mitbegründerin der Ostkreuz Agentur. 1966 begann sie ihre Ausbildung zur Fotografin bei Arno Fischer (1927–2011), ihrem späteren Ehemann. 1967 gründete sie die Fotogruppe „Direkt“ mit. Ihre Wohnung am Schiffbauerdamm war jahrzehntelang Treffpunkt der ostdeutschen und internationalen Fotoszene.
Bergemanns besonderer fotografischer Blick zeigt sich in ihrer dokumentarischen Serie „Das Denkmal“ (1975–1986). Über 11 Jahre begleitete sie die Entstehung des von Ludwig Engelhardt (1924–2001) entworfenen Marx-Engels-Denkmals in Berlin. Eigentlich entstanden im Auftrag des Kulturministeriums als Dokumentation der Montage der Figuren, wurden diese Bilder nach der Wende zu visuellen Ikonen der Demontage: Der schwebende Engels steht metaphorisch für den Niedergang eines politischen Systems. „In skurril-humorvoller Sicht der Fotografin gehen die Bilder über reine Dokumentation weit hinaus“, schreibt Muschter. „Brisanz des Themas, Bedeutung der Persönlichkeiten rufen philosophische Bezüglichkeiten, politischen Witz, auch Bitteres hervor.“
Dieses besondere psychologische Gespür in Verbindung mit visueller Poesie zeigt sich neben den Situations- und Ortsaufnahmen auch in Bergemanns Porträts, seien es Mode-, Reportagebilder oder freie Serien. Bereits im vergangenen Jahr haben wir zum Muttertag die Serie „Frauen und ihre Kinder“ vorgestellt.
In den Aufnahmen gelingt es Bergemann, die besondere Beziehung von Müttern und ihrem Nachwuchs mit klarer Bildsprache in feinfühlige poetische Kompositionen zu überführen, die eine vertraute emotionale Nähe ausstrahlen.
Profil und Arbeiten von Sybille Bergemann bei OSTKREUZ
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[…] es geht um Intensität von Berührung, auch in ihren psychischen Möglichkeiten.
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Gabriele Muschter, 1989
Um Nähe geht es auch in den Fotografien von Tina Bara (*1962). Bara studierte von 1980 bis 1986 Geschichte und Kunstgeschichte und im Anschluss Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Seit 1993 ist sie dort als Professorin für künstlerische Fotografie tätig. Die hier gezeigten Fotos changieren zwischen Aktaufnahme und Porträt. Harte Kontraste, helle Flächen und tiefe Schatten strukturieren die Bilder, tun dies jedoch auf eine weiche, eindringlich stille und sanfte Weise. Zwischenmenschliche Berührung in all ihren tiefenpsychologischen Auswirkungen wird zum eigentlichen Bildthema. Haut wird nicht nur als äußere Definition der Körperform in den Blick genommen, sondern als Oberflächenorgan, das den physischen Kontakt zur Umwelt verarbeitet und Einfluss nimmt auf unsere Gefühlswelt.
Dass sich Baras intensive Bildsprache auch in ihren weniger abstrahierenden Motiven findet, wird im eingangs gezeigten Porträt deutlich. Ihre Fotos öffnen einen Resonanzraum, der die Betrachtenden einlädt, hinter die Oberflächen zu schauen. Diese Intensität in der Begegnung prägt auch den Moment der Aufnahme: Baras Arbeiten entstehen als „performative Porträts“, als dialogische, in die Zeit gedehnte fotografische Situationen zwischen Künstlerin und Modell.
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Wohin ich gehe, treffe ich immer gleich auf die Brennpunkte.
Auch auf das sonst verborgene Leben.
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Gundula Schulze Eldowy
Die Fotografin Gundula Schulze Eldowy (*1954) studierte 1979 bis 1984 Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. 1985 begegnete sie Robert Frank – eine prägende Erfahrung, die in einer lebenslangen Freundschaft mündete. Schulze Eldowy arbeitet inzwischen medienübergreifend, lebt in Berlin und Peru und ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, Dresden. Insbesondere in ihren frühen Fotoserien befasst sie sich mit sozialkritischen Themen.
Die Ehrlichkeit, Radikalität und Verletzlichkeit ihrer Bildsprache und Sujets trug ihr die Bezeichnung „Diane Arbus der DDR“ ein (Der Tagesspiegel). So existentialistisch ihre Themen sind, so respektvoll gehen ihre Bilder mit den Porträtierten um.
Die Arbeit „Tamerlan“ (1979–1989) vermittelt in Bild und Wort einen Einblick in das Leben einer alternden Frau. 1979 lernte Schulze Eldowy die Rentnerin Elsbeth Kördel im Berliner Kollwitzpark kennen und begleitete sie die folgenden 8 Jahre mit ihrer Kamera. Zwischen ungeschönter, verstörender Lebensrealität und freundschaftlicher Nähe wird der Mensch im Altwerden sichtbar. Der Blick ist klar, der Körper ist krank, schließlich werden die Beine amputiert. Schulze Eldowys Bilder sind hart in ihrer Ehrlichkeit und doch auf Augenhöhe. „Realismus wird darin zur Magie. Innere Spannungen schockieren und schmerzen in ihrer Direktheit“, schreibt Gabriele Muschter.
Biographie von Gundula Schulze Eldowy
Fotografieren Frauen also anders? Körperliche Nähe, die Sorge um das Alter, Kinderbetreuung – die fotografische Auseinandersetzung mit diesen Themen bewegt sich in der Tat nah am Leben, wie Muschter es formuliert. In der Zusammenschau öffnen die Fotos, gerade unter den aktuellen Betrachtungsbedingungen der Pandemie, einen Assoziationsraum in dem das Thema der zwischenmenschlichen Nähe und Distanz, des sozialen Miteinanders und der Einsamkeit als Gegenpol verhandelt wird – und verdeutlichen damit, wie wichtig Bilder, wie wichtig Kunst in der Auseinandersetzung mit unserer Lebensrealität sein können.
Dass sich die Fotografinnen keineswegs auf die vorgestellten Themen und Serien reduzieren lassen, ist dabei selbstverständlich. Solch eine Zusammenschau ist immer individuell und basiert auch auf dem auswählenden, betrachtenden Blick. Und doch verfängt die besondere Bildsprache der Fotografinnen in ihrer Intensität und Ungekünsteltheit auch darüber hinaus: Bergemanns Dokumentation des Marx-Engels-Denkmals macht dies noch einmal anschaulich – ihr Gespür für die psychologischen und auch humorvollen Tiefen des Vorgefundenen kommt auch abseits des menschlichen Porträts in ihrer poetischen Bildsprache voll zum Tragen.
Stammen die gezeigten Bilder aus einer spezifischen Zeit, den 1980er Jahren, und einer spezifischen Region, dem Staats- und Kultursystem der DDR, so multiplizieren sich in Zeiten von Digitalisierung, Social Media und Globalisierung die Perspektiven auf den weiblichen Blick durch die Kamera. Wie das aussehen kann, zeigt ein Klick auf die weiterführenden Links unten. Sichtbarkeit ist dabei immer noch oder vielleicht mehr denn je ein Thema: Denn um die Frage zu stellen, wie Frauen fotografieren, gilt es zunächst, den weiblichen Blick durch die Kamera zu exponieren, zu zeigen, zu präsentieren, zur Debatte zu stellen. Im Alltag, im Museum, im Kunstbetrieb, nicht nur am 8. März sondern das ganze Jahr über:
Zeigt her, Eure Bilder!
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