08. Juli 2020
Fotografie und Original
Was ist ein Original? In der Kunst verbinden wir damit eine besondere Qualität, die Schöpfung durch einen Künstler oder eine Künstlerin und vor allem Einzigartigkeit. Ganz klar: Es kann nur eine Mona Lisa geben. Taucht man tiefer ein, werden die Dinge plötzlich komplizierter. Sind zwei Druckgrafiken von Andy Warhol (1928-1987) mit dem gleichen Motiv nicht auch jeweils Originale? Das Foto Rhein II von Andreas Gursky (*1955) wurde 2014 für 4,2 Millionen US-Dollar verkauft – eindeutig ein Original. Und doch ist gerade der Fotografie die Möglichkeit zur Vervielfältigung in die Wiege gelegt – ein Widerspruch?
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Man würde eine Druckgrafik als Original bezeichnen, nicht aber ein weiteres Gemälde, das wäre eine Kopie. Es gibt also keine zwei Mona Lisas, aber zwei originale Andy Warhols […].
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Doris Reisinger
Betrachten wir die klassische analoge Fotografie: Bei der Belichtung in der Kamera entsteht ein latentes Bild auf dem Film. Der Film wird entwickelt und ein Negativbild wird sichtbar, von dem positive Abzüge entstehen. Aus kleinen Kontaktbildern, so groß wie das Negativ, wählt der Künstler oder die Künstlerin ein Motiv aus. Davon macht er/sie selbst, oder ein beauftragtes Labor, einen großen Abzug für das Museum. Vielleicht entstehen in einer limitierten Auflage kleinere Abzüge, die in einer Galerie verkauft werden. Das Bild wird digitalisiert und eventuell Jahre später noch einmal für eine andere Ausstellung gedruckt. Das fotografische Bild durchläuft also verschiedene Materialstufen und -zustände.
Was ist nun das Original? Das Negativ als „Urbild“ und alle nachfolgenden Bilder sind nur Kopien? Oder ist das Original jener Print, der vom Künstler oder der Künstlerin signiert ist? Ist es eigentlich egal, wer den Abzug macht und ist jeder Handabzug sowieso minimal anders und deswegen ein Original? Oder entsteht die Einzigartigkeit erst durch die Nummerierung in der Auflage? Kann es ein, zwei, drei Originale geben?
Gerade in Museen entstehen Folgefragen. Was passiert, wenn bei einer Fotografie mit der Zeit die Farben ausbleichen? Entspricht nun der sogenannte „Vintage-Abzug“ eher dem Original oder vielleicht ein „Modern Print“, ein Neuabzug, der die ursprünglichen Farben wiederherstellt? Ist also der Abzug das Original oder die ursprüngliche Bildidee? Gerade bei instabilen Farbfotos werden oft zwei Bilder erworben – eins für die Ausstellung und eins für das Depot, in dem der Originalzustand möglichst lange erhalten bleibt. Sind „Ausstellungsabzüge“ auch Originale? Und was zeigt man eigentlich dem Besucher? Die Frage des Originals wird komplexer, je länger man sich mit ihr befasst.
Doris Reisinger erläutert das Problem aus philosophischer Perspektive: Oft kommt es auf den Kontext und das Medium an, welche „originalstatusbegründenden Eigenschaften“ wir von einem Objekt erwarten, um es „Original“ zu nennen. Entstehungschronologie, Unikat, Urheberschaft und Authentifizierung, etwa mit der Signatur, sind wichtig, es können aber auch andere Faktoren ausschlaggebend sein, etwa eine Marke, wie in der Mode: eine Originaltasche von Louis Vuitton, das kleine Schwarze von Chanel.
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Insgesamt ist das Problem Original noch nicht ausreichend
geklärt.“
Lexikon der Kunst, 1975
Und damit schließt sich der Kreis zu unserer aktuellen Sonderausstellung: Denn nicht zuletzt verbinden wir mit dem Begriff Original auch genieästhetische Normen und somit die Fähigkeit, etwas Originelles, ganz Neues zu schaffen, das das Charisma des Autors versprüht – in besonderem Sinne trifft dies auf das kreative Original Karl Lagerfeld (1933-2019) zu. Über dessen fotografische Bildschöpfungen und ihre Umsetzung auf feinen Papieren für unsere Ausstellung sprechen wir morgen mit dem Verleger, Drucker und Kurator Gerhard Steidl (*1950) zum Thema „Original oder nicht Original?“.
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