07. Januar 2022
Walter Ballhause – Fotograf in harten Zeiten!
Durch die Übernahme des fotografischen Archivs des traditionsreichen Halleschen Fotokinoverlages 1991 gelangten auch 30 Arbeiten des autodidaktischen Fotografen Walter Ballhause (1911–1991) als Dauerleihgabe in die fotografische Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale). Eine Auswahl von 12 Werken präsentiert das Museum nun in seiner digitalen Sammlung – ein Anlass, den Fotografen näher vorzustellen.
Sammlung Walter Ballhause auf museum-digital
Die Fotografien von Ballhause in der Sammlung sind in einem Zeitraum zwischen 1930 und 1933 entstanden. Es war die Zeit der großen Depression, die das Ende der Weimarer Republik einläutete. Deutschland verzeichnete 1932 acht Millionen Arbeitslose. Auch Walter Ballhause war arbeitslos und konnte gerade deshalb den Großteil seines Œuvres schaffen. Er lebte zu diesem Zeitpunkt in Hannover. Dort war er 1919, nachdem sich seine Eltern hatten scheiden lassen, mit seiner Mutter hingezogen. Von 1926 bis 1929 absolvierte er eine Laborantenlehre bei der Hannoverschen-Maschinenbau-Aktiengesellschaft und fand dann zufällig zur Fotografie.
Inspiriert durch das Buch „Empörung und Gestaltung“ von Erich Knauf (1895–1944), welches später in den Zeiten des Nationalsozialismus verboten war, fasste er einen Plan. Das Anklagende, aber auch das Ungestellte und das Authentische, was Jean-François Millet (1814–1875), Honoré Daumier (1808–1879), Otto Dix (1891–1961), Heinrich Zille (1858-1929), Käthe Kollwitz (1867–1945) und weitere in diesem Buch erwähnte Künstler durch ihre Ölbilder und Zeichnungen transportieren, wollte Ballhause dem Betrachter durch die Fotografie näherbringen. Dazu lieh er sich die Kamera seiner Freundin Lina Lengefeld (1906–unbekannt). Es war eine Leica mit 50 mm Objektiv und damit der neuste technische Stand der Zeit. Die Kamera war klein, robust und präzise. Für Ballhauses Vorhaben war sie perfekt. Er wollte unbemerkt fotografieren und keine Szene verfälschen. Aufgrund der politischen Umschwünge der 1930er Jahre war er durch seine links gerichtete Einstellung auch häufig gezwungen, unbemerkt zu fotografieren. Ebenso schnell, wie er die Kamera aus seiner Jackentasche herausholen konnte, ließ er sie wieder in dieser verschwinden. In der Literatur bekam das kleine technische Gerät daher den Spitznamen „die unsichtbare Kamera“. Ballhause fotografierte vor allem in seinem eigenen Milieu. Trotz oftmals sehr spontaner Aufnahmesituationen, zeichnen sich seine Arbeiten durch einen hohen künstlerischen Wert und eine starke symbolische Aussagekraft aus.
Neben dem Fotografieren war Ballhause Anfang der 1930er Jahre auch politisch sehr aktiv: 1931 gründete er die Ortsgruppe Hannover der Sozialistischen Arbeiter Partei Deutschlands (SAP) mit. Das Engagement innerhalb der Partei brachte ihm 1934 eine Verhaftung durch die Geheime Staatspolizei wegen linker Betätigung ein. Von 1938 bis 1941 absolvierte Ballhause ein Abendstudium, das er als Chemotechniker abschloss. Um vor allem der Gestapo zu entgehen, nahm er eine Stelle als Laborleiter in Plauen an. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Fotografie für ihn zur Nebensache. Von 1945 bis 1947 war er Bürgermeister der Gemeinde Straßberg bei Plauen. 1991 starb Walter Ballhause in Plauen. Seine Familie leitet dort das Walter-Ballhause-Archiv.
Die wohl populärste Fotografie Walter Ballhauses steht symbolisch für eine Zeit des politischen Umbruchs, des Übergangs von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus zu Beginn der 1930er Jahre. Arbeitslose Menschen reihen sich zu einer, wie es scheint, schier unendlichen Schlange vor dem schon nicht mehr abgebildeten Arbeitsamt am Königsworther Platz in Hannover. Täglich finden sie sich hier ein, um nach Arbeit zu suchen und sich arbeitslos zu melden. Auf der Wand eines angrenzenden Schuppens ist der Schriftzug Wählt Hitler sowie ein Hakenkreuz auszumachen. Die im Bild zur rechten oberen Ecke hinaufsteigende Menschenschlange kollidiert eben dort mit der fast menschenleeren, aus Fahrrädern bestehenden verlängerten Linie des Schuppens, auf dem zur Wahl Hitlers aufgerufen wird. Formal entsteht in der Gegenüberstellung dieser zwei ungleichen Achsen ein Pfeil, der zu signalisieren scheint: Hier entlang, wählt Hitler, das ist die Lösung zur Arbeitslosenproblematik. Da es unter anderem eben jene hohe Arbeitslosenquote sowie die Resignation und Verzweiflung waren, die Adolf Hitler den Weg zur Macht ebneten, besitzt dieses Bild eine immense Aussagekraft und gilt nicht ohne Grund als historisches Schlüsselbild.
Neben den für das Œuvre Walter Ballhauses typischen Arbeiterfotografien schuf er auch eine Reihe an Bildern, welche die Kinder der Arbeiter zeigten. Der Fotograf verstand es, zwei für die Fotografie wesentliche Aspekte scheinbar mühelos im Bild miteinander zu vereinen: formale Gestaltung und Symbolkraft des Motivs. Er erkannte sehr schnell, wenn eine zufällige Situation auf der Straße eine ausgewogene Bildkomposition ergab. Der gekonnte Einsatz fotografischer Gestaltungsmittel wie Wahl des Bildausschnitts, Linienführung und Perspektive führte zu grafisch ansprechenden, klaren Bildern. Die aktive Inszenierung vor der Kamera lag ihm dabei fern. Auch konnte er instinktiv einordnen, ob eine bestimmte Situation einen hohen Symbolcharakter in sich trägt oder nicht. Dieses Sehvermögen beweist Ballhause auch in der Arbeit Achtung wir räumen! Ballhause wählte den Ausschnitt so, dass das Plakat keinem bestimmten Geschäft zuzuordnen ist. Damit kreiert er einen hohen Symbolwert. Auf einer zweiten, historisch zugespitzten Interpretationsebene ist hier nicht nur die offensichtliche Räumung eines Geschäfts visualisiert, vielmehr symbolisiert die Fotografie im Nachhinein das Ende der dem Nationalsozialismus Platz machenden Weimarer Republik. Dass dem Plakat-Maler gerade die junge Generation dabei zuschauen muss, die vor allem mit den Konsequenzen „der Räumung“ wird leben müssen, belegt diese Fotografie mit einem sarkastischen Filter, der für Ballhause nicht untypisch ist.
Das Kinderbild offenbart die Inspiration durch das Buch „Empörung und Gestaltung“. Anhand der vorliegenden Fotografie lässt sich Ballhauses Beeinflussung durch den Grafiker, Zeichner und Maler Heinrich Zille nachvollziehen. Zilles Werk speist sich aus dem Leben der Berliner Straßen. Nicht selten hielt er dadurch auch ausgelassene Kindergruppen fest. Ebenso wie Zille, gelang es Ballhause durch die eingefangenen Bewegungen, das Arbeiten mit der zufälligen Anordnung sowie die Aura der Ungestörtheit, Leichtigkeit, Ausgelassenheit und Freude zu transportieren. Mit zahlreichen weiteren Fotografien dieser Art schuf Ballhause ein Sozialporträt des Proletarierkindes der 1930er Jahre.
Immer wieder wählte Ballhause auch tätige Frauen als Motive für seine Aufnahmen aus. So kurz und unverhohlen der Titel der Fotografie auch ist, so treffend ist er auch. Die Verzweifelte ist eine Näherin, die Ballhause während ihrer Pause aufnahm. Die ältere Frau sitzt zusammengesunken auf einem steinernen Vorsprung. Die Hände stützen und verbergen das Gesicht gleichermaßen. Auch dieses Motiv offenbart einen klaren Bezug zu einer anderen Künstlerin. Die Rede ist von Käthe Kollwitz und im Besonderen von ihrer eindrucksvollen Zeichnung die Nachdenkende Frau, 1920. Kollwitz´ Werke zeichnen sich oft vor allem dadurch aus, dass sie erschreckend gefühlsrealistisch sind. Ballhause kommt der Realität durch das fotografische Medium noch ein Stück näher. Sein Bildtitel Die Verzweifelte, 1931, löst, in Kombination mit der anonymisierten Aufnahme, zugleich die mit dem fotografischen Bild verbundene Referenz auf eine spezifische Person zugunsten einer gesellschaftlichen Symbolkraft des Motivs auf. Hier zeigt sich Ballhauses Grundsatz, die Menschen, deren Leid, Armut und Anstrengung er dokumentieren wollte, möglichst unerkannt zu porträtieren. Auch wenn diese Haltung des Künstlers von einer gewissen Scheu zeugen mag, bewegte er sich doch nicht als außenstehender Beobachter.
„Ich brauchte den Unterdrückten nicht über die Schulter zu schauen, da ich selbst einer von ihnen war, aus ihrem Milieu kam.in: Peter Funken: Arbeiten spielen, in: Faktor Arbeit NGBK, Berlin 1997, S. 18 |
Das Porträt einer älteren und vom Leben gezeichneten Frau ist untypisch für Walter Ballhause. Wie bereits erwähnt, sollten die Menschen, die er fotografierte, um die Not und das Elend der damaligen Zeit zu dokumentieren, anonym bleiben können. In einem Interview erklärte Ballhause, dass er sich, anders als der Fotograf August Sander (1876–1964), der mit seinem umfangreichen Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ ein soziales Porträt der Gesellschaft seiner Zeit anstrebte, die Menschen nicht „aufschließen“ wollte. Vielmehr wollte er ihnen und sich selbst ein Gefühl der Scham ersparen und respektvolle Distanz wahren. Diesen Leitsatz verfolgte Ballhause auch in dieser Aufnahme. Allerdings blickte die Frau genau in dem Moment, in dem Ballhause den Auslöser betätigte, unerwartet und ungeplant auf und in die Kamera. Ihr Ausdruck trägt vieles in sich: Verwunderung, Skepsis, Entsetzten, Scham, Anstrengung und Leid. Die Kraft und die Stärke, die dennoch von dieser Fotografie ausgehen, werden Ballhause nach der Entwicklung des Bildes davon überzeugt haben, es nicht zu verwerfen.
Fast 50 Jahre nach der Entstehung dieser und weiterer Fotografien wurde Walter Ballhause (wieder-)entdeckt und stellte sowohl in Ost-, als auch in Westdeutschland in diversen Galerien und Museen aus. 1986 wurden seine Arbeiten das erste Mal in den USA in Maryland gezeigt. Es folgten Ausstellungen in New York, San Diego und Boston. Ballhause sagte in einem Interview mit der DDR-Zeitschrift Fotografie einmal: