06. Mai 2022

„Kunst oder Dekadenz?“

Die Galerie Henning in Halle (Saale).
Zum 60. Todestag eines bedeutenden Kunsthändlers

 

Das kulturelle Leben in Halle (Saale) hatte nach Kriegsende hoffnungsvoll begonnen. Impulse gingen von der Martin-Luther-Universität und dem Städtischen Museum in der Moritzburg aus, aber auch die Kunstschule Burg Giebichenstein spielte eine wichtige Rolle. Wer auf der Suche nach geistigem Austausch war, fand ihn bald in der Galerie Henning, die ihr Domizil in der Albert-Dehne-Straße 2, unmittelbar am Marktplatz, bezog.

Am 6. Mai 1947 eröffnete der Kunsthändler und Verleger Eduard Henning (1908–1962) mit der Gemeinschaftsausstellung Malerei und Grafik – 1. Abteilung, in der es Arbeiten von Heinrich Ehmsen, Karl Hofer, Max Kaus, Hans Orlowski, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff zu entdecken gab.

 

Eduard Henning, Foto: Nachlass der Familie Henning Halle (Saale), Fotograf unbekannt

 

Henning brachte dem Publikum in seinen Ausstellungen Künstlerinnen und Künstler nahe, die durch das nationalsozialistische Regime im Bewusstsein eines großen Teils der Menschen kaum mehr existierten – Künstlerinnen und Künstler, deren Werke als „entartet“ aus öffentlichen Sammlungen und Museen verbannt, ins Ausland verkauft oder zerstört worden waren.

 

Die Galerieräume in der Albert-Dehne-Straße 2 in Halle (Saale) mit der Eröffnungsausstellung, Foto: Nachlass der Familie Henning Halle (Saale), Fotograf unbekannt

 

Seinen Lebensunterhalt verdiente Eduard Henning allerdings nicht mit den Verkäufen in seiner Galerie, sondern durch seinen Hahn-Verlag, in dem neben mehr als 40 Katalogen weit über 800 ein- und mehrfarbige Kunstkarten und etwa 100 Kartenmappen im Format A6 erschienen waren.

 

Auswahl an Katalogen der Galerie Henning im Format A5
Auswahl an Postkartenmappen der Galerie Henning im Format A6

 

Durch seine Kontakte und Messebesuche sowie auf zahlreichen Reisen nach Frankreich hatte Eduard Henning Begegnungen mit Gleichgesinnten, die ihm beim Aufrechterhalten des Galeriebetriebs behilflich sein sollten. Schon im April 1950 war es in Halle (Saale) zur ersten Einzelausstellung mit grafischen Blättern von Georges Braque (1882–1963) nach der NS-Zeit gekommen. Auch die 100. Ausstellung der Galerie Henning im September 1955 war die erste ihrer Art nach 1945: Speziell Marc Chagall (1887–1985) gewidmet, wurden über 60 Farblithografien präsentiert.

 

Die Chagall-Ausstellung im Wohnzimmer der Familie Henning, Foto: Nachlass der Familie Henning Halle (Saale), Fotograf unbekannt

 

Im Jahr 1956 gab es im Januar Picassos (1881–1973) Studien zu Der Maler und sein Modell zu sehen. Bis zum Oktober 1961 zeigte die Galerie Henning insgesamt 19 Einzelausstellungen und 11 thematische Gruppenexpositionen mit französischer Kunst. Ebenso fanden gegenständliche und abstrakte Bilder, christliche und sinnenfrohe Themen ihren Platz in der Galerie.

 



In der DDR darf es keine paradiesischen Inseln der ideologischen Koexistenz geben [...]

Zu den Ausstellungen in der Galerie Henning. Rolf Friedmann: Kunst oder Dekadenz?, in: Monatsheft Kulturspiegel für Halle und Saalkreis, Januar 1958, Heft 1, S. 96–97.

 

Seine Galerie war für Eduard Henning eine Geistes- und Interessengemeinschaft, die sowohl bekannte als auch unbekannte Künstlerinnen und Künstler vereinte, Kunstbegeisterte, Sammlerinnen und Sammler anzog und aus diesem Grund bald ins Visier der Staatssicherheit geriet. Die letzte Ausstellung der Galerie im Dezember 1961 zeigte Aquarelle von Brunhilde Keune und war der Endpunkt des Weges, den die Galerie 14 Jahre lang konsequent verfolgt hatte. Trotz der Verbote und der öffentlichen Angriffe hatte sich Eduard Henning den Forderungen der SED nicht gebeugt. Dieser neuen Situation fühlte er sich nicht mehr gewachsen und beendete daraufhin am 21. Juni 1962 sein Leben.

 

 

Es war nicht allein organisatorische Fähigkeit, die die Ausstellungen zu Ereignissen werden ließ, es war der Sinn, das Gespür für das Richtige, das zur richtigen Zeit getan werden mußte, und es war darüber hinaus eine vielleicht unbewußte Begabung, die Werke der Künstler auszusuchen und zu zeigen, die nicht nur Qualität besaßen, sondern die in der damaligen ungeklärten Situation auch die Menschen ansprachen.

Richard Horn: Gedenkrede zum Tode Eduard Hennings.
Das Dokument befindet sich im Nachlass der Familie Henning.

 

 

Zur Vertiefung

Publikation

Magnet für Kunst­lieb­ha­ber oder Ort der Pro­vo­ka­tion? Die Ga­le­rie Hen­ning in Hal­le (Saale)


Christin Müller-Wenzel, Auf­satz in Schrif­ten­rei­he „Pro­venire“: Band 3 – Ent­eig­net, ent­zo­gen, ver­kauft. Zur Auf­ar­bei­tung der Kul­tur­gut­ver­lus­te in SBZ und DDR / hg. von Mat­thias Dei­nert, Uwe Hart­mann, Gil­bert Lup­fer, Deut­sches Zen­trum Kul­tur­gut­ver­lus­te, Mag­de­burg / Berlin: De Gruyter, 2022