04. Februar 2022

Becher zwischen Kunst und Politik

Beitrag zur Kabinettausstellung „Der Brüderschaft verehret … Der Silberschatz der Halloren“

 

Der einzigartige Silberschatz der Salzwirkerbrüderschaft im Thale zu Halle gehört als erklärtes national wertvolles Kulturgut zu den herausragenden Denkmalen der Kulturgeschichte. Mehr als ein Jahr lang haben wir jetzt in den historischen Zimmern diesen einzigartigen Schatz vorgestellt und präsentiert:

Kabinettausstellung „Der Brüderschaft verehret … Der Silberschatz der Halloren“

Blog-Beitrag 28. Mai 2021: „Ein extra Schatz im Silberschatz: Der Becher (u. a.) von Händels Tante“

An dieser Stelle geht es diesmal um die Becher zwischen Kunst und Politik.

 

Becher Nr. 3 und 4: Johann Georg Pelß, tätig in Berlin, Bürger ab 1670, Huldigungsbecher für Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (reg. 1640–1688), 1681, Silber, aufgezogen, teilweise vergoldet, graviert, H 16,5 cm, Foto: Salzwirkerbrüderschaft im Thale zu Halle, Klaus E. Göltz

 

Seit dem 16. Jahrhundert kennen wir zumeist aufwändig gestaltete Becher als Ehrengeschenke. Gründe für solche Ehrengaben waren und sind äußerst vielfältig. Heraus ragen die Huldigungen der Halloren für die neuen Landesherren, die seit 1446 urkundlich fassbar sind. Im Jahr 1681 erhielten die Halloren vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688) erstmals zwei mit Geld gefüllte silberne Becher als Geschenke, die nach dem ältesten Stiftungsbecher für Hilfe in Feuersnot aus dem Jahr 1671 den Grundstock für die besondere Sammlung bildeten (Becher Nr. 3, 4). Diesem Vorbild folgte 1689 auch Friedrich Wilhelms Sohn Friedrich III. von Brandenburg (1657–1713), der 1688 die Regierung in Brandenburg übernahm und 1701 in Königsberg zum ersten preußischen König gekrönt wurde (Becher Nr. 5). Die Halloren begleiteten mit 600 Mann und fliegenden Fahnen seinen Einzug in die Saalestadt.

 

 

Zur Huldigung Friedrichs des Großen (1712–1786) im Jahr 1740 ließ die Brüderschaft aus dem Erlös des von der Krone geschenkten Pferdes für 45 Taler einen Huldigungsbecher von dem in Halle (Saale) tätigen Goldschmied Johann Christoph Weise d. J. (tätig ab 1739) anfertigen (Becher Nr. 16). Als königlicher Kommissar nahm der Staatsrechtler und Kanzler der Universität, Johann Peter von Ludewig (1668–1743), die Huldigung in Vertretung entgegen. Die Huldigungen waren öffentliche Feiern, die das Verhältnis zwischen Bürgern und Landesherren widerspiegeln. Der Huldigungseid verpflichtete die Untertanen einerseits zu Treue, Gehorsam und Leistungen, andererseits bestätigte der neue Landesherr öffentlich Privilegien, Freiheiten und weitere Rechte. In der speziellen halleschen Zeremonie hatte der Älteste der Salzwirker die Salzbrunnen auf dem königlichen Pferd zu umreiten und das Treuegelöbnis zu sprechen. Die im 18. Jahrhundert begonnene Tradition setzte sich im 19. und 20. Jahrhundert ungebrochen fort. Es entwickelte sich ein besonderes, in seiner Form einzigartiges Verhältnis der Halloren zu den Hohenzollern.

 

Der Becher trägt die Inschrift:

„VIVAT! vivat lebe lange! Großer König, sey beglückt. Was dein Hertze Kan begehren, Wolle dir der Herr beschehren. Sey gesegnet unverückt. Vivat! vivat lebe lange! König Friedrich sey beglückt. Wie die Brunnen stetig fließen. Sich mid reicher Sol ergießen. Also Wachse auch Dein Haus. Auff ihr Brüder ruffet aus. Vivat! vivat! lebe lange. Großer König sey beglückt.“


Das Treuegelöbnis lautete im Jahr 1740:

„Im Nahmen Gottes und des Allerdurchlauchtigsten Fürsten und Herrens, Herrn Friedrichs, König in Preußen, Churfürstens, als Hertzog und Landes-Herrns des Herzogthums Magdeburg … Ihme und Seinen Nachkommen, bestätigen wir diesen Saltz-Brunnen, daß er derselben Herr sey. Gott segne und erhalte diese edle Quelle bis ans Ende der Welt.“

 

In die Reihe der Stifter reihte sich im Jahr 1933 auch der neue nationalsozialistische Oberbürgermeister der Stadt Halle (Saale), Dr. Johannes Weidemann (1897–1954), ein, der im August 1933 anlässlich des ersten Gau-Parteitages der NSDAP in der Saalestadt einen Becher auf die „nationalsozialistische Erhebung“ in Auftrag gab. Am 14. Oktober 1933 wurde  er den Vertretern der Salzwirkerbrüderschaft überreicht (Becher Nr. 45). Zugleich war der Silberschatz im Rathaussaal ausgestellt. Für die neuen Machthaber bot die Instrumentalisierung der halleschen Salztradition eine geeignete Bühne für die repräsentative Inszenierung der von ihnen errungenen Macht.

 

Becher Nr. 45: Karl Müller, 1888 Berlin, 1972 Halle(Saale), Stiftungsbecher des halleschen Oberbürgermeisters Johannes Weidemann anlässlich des Parteitages der NSDAP in Halle (Saale), 1933, Silber, Zargenarbeit, ziseliert, graviert, H 23,6 cm, Foto: Salzwirkerbrüderschaft im Thale zu Halle, Klaus E. Göltz

 

Den Auftrag für die Gestaltung des Bechers übernahm der bekannte Lehrer und Metallgestalter an der damals städtischen Kunstschule Burg Giebichenstein Karl Müller (1888–1972). Sein Entwurf wurde mit Änderungswünschen des Magistrates, einschließlich der Berücksichtigung von Vorschlägen des damaligen Stadtbaurates Wilhelm Jost (1874–1944), überarbeitet. Die drei Hauptmotive sind ein Verkündigungsengel, Marktkirche und Roter Turm als Wahrzeichen der Saalestadt sowie ein Hallore, der eine wehende mit Hakenkreuz und Stadtwappen versehene Fahne hält. Der Becher ist ein Meisterwerk handwerklicher Qualität und verleugnet nicht die individuelle künstlerische Handschrift, die hier wie in dem Polyptychon für die Kirche auf dem Petersberg bei Halle (1935–1945) oder in einer Zuckerschale (um 1955) in der Sammlung des Museums sichtbar wird.

 

 

Karl Müller wurde 1923 an die hallesche Kunstschule berufen, wo er als Leiter Metallklasse bis 1958 lehrte. Er war zweifellos einer ihrer einflussreichsten und vielseitigsten Wegbereiter. Hauptsächlich ist er als Gefäßdesigner bekannt, der die sachlich schnörkellose und konstruktive Moderne in der Metallgestaltung mitprägen konnte, die heute als „Bauhausstil“ geschätzt wird. Im Formenkanon der Neuen Sachlichkeit zählt Karl Müller durchaus zur Avantgarde. Eine reiche Oberflächenbehandlung und phantasievolle plastische Formgebung zeichnen seine Arbeiten aus, die sich um 1930 zu formkonturierenden geometrischen Ornamenten und figürlichen Kompositionen hin entwickelte.

Im Jahr 1939 schuf Müller einen weiteren Stiftungsbecher im Auftrag des Reichskanzlers Adolf Hitler. Müllers politische Überzeugungen lassen sich heute nur schwer nachvollziehen. Ein konformes Verhalten in den ersten Jahren der Naziherrschaft verhinderte sicherlich die Entlassung aus dem städtischen Dienst. Gleiches gilt schlussendlich auch für die Zeit der ideologischen Auseinandersetzungen, der sogenannten „Formalismusdebatte“, in den 1950er Jahren. Dennoch spricht es für sich, dass Müllers Kollege an der Burg Giebichenstein, der Bildhauer Gerhard Marcks (1889–1981), in Bezug auf die politisch motivierten Entlassungen 1933 betonte, dass „unser Goldschmiedekollege Müller, der als Nicht-Bauhäusler nicht gehasst wurde, betrübt sagte, er schäme sich“ (Brief Gerhard Marcks an Wulf Herzogenrath, 31.12.1971). Die Zwänge des angestellt tätigen Künstlers offenbaren sich genauso wie die Fesseln durch die Wünsche der Auftraggeber bei solchen Auftragswerken.

 

 

Die Becher-Stiftungen setzten sich auch in der Zeit der DDR fort. So schenkte z. B. Walter Ulbricht (1893–1973) einen Becher anlässlich des 1961 gefeierten 1000-jährigen Stadtjubiläums oder der 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED, Werner Felfe (1928–1988), einen im Jahr 1974 anlässlich der Stadtdelegiertenkonferenz der Partei (Becher Nr. 61, 74).

 

Becher Nr. 72: Karl Heinz Trautmann, geb. 1930 Halle (Saale), Stiftungsbecher von Horst Sindermann, 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED, Mitglied des Politbüros des ZK der SED, anlässlich des 25. Jahrestages der Gründung der Partei, 1971, Silber, Zargenarbeit, Fuß aufgezogen, ziseliert, montiert, H 21,1 cm, Foto: Salzwirkerbrüderschaft im Thale zu Halle, Klaus E. Göltz

 

Auch Horst Sindermann (1915–1990) nutzte eine Parteikonferenz 1971, um einen Becher zu stiften (Becher Nr. 72). Diesen arbeitete der Gebrauchsgrafiker und Metallgestalter Karl-Heinz Trautmann (*1930). Zwischen 1970 und 1981 leitete er den Fachbereich Metallgestaltung der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Damit gehörte er zu den renommierten Kunsthandwerkern in der DDR. Sein repräsentativer Becher wird von einem bewegt ziselierten Demonstrationszug mit Fahnen und Transparenten umfangen, der, anlässlich des 25-jährigen Gründungsjubiläums der SED, an den damals immer wieder monumental inszenierten Vereinigungszug von KPD und SPD im Jahr 1946 erinnert. Dieser Zug symbolisiert auch einen Aufbruch, der von Architekturen mit Baukränen, Industrieanlagen sowie dem Wahrzeichen der Stadt, den fünf Türmen der Marktkirche und des Roten Turmes, gefasst wird. Es ist bemerkenswert, dass Trautmann nicht mit den nagelneuen Hochhäusern der Neustadt, sondern dem alten Wahrzeichen Halles die Industriestadt symbolisiert. Den Roten Turm stellt er unversehrt dar, obwohl damals noch der 40 Meter hohe, 1945 durch einen Granattreffer zerstörte Turmhelm fehlte.

Die Halloren erhielten den Becher in einer Konferenzpause der X. Stadtkonferenz der SED am 8./9. Mai 1971, als sie ihre Glückwünsche überbrachten. Der Becher ist zugleich ein symbolisches Geschenk Sindermanns an seine zeitweilige Wirkungsstätte Halle (Saale), die er wenige Tage später verließ, um als stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der DDR in Berlin zu arbeiten. Als Abschiedsgeschenk erhielt er aus dem Bestand unseres Museums ein vom Rat des Bezirkes requiriertes Gemälde von Willi Sitte, dessen "Rufer II" aus dem Jahr 1964.

 

 

Die Tradition der Becher-Stiftungen hat sich unabhängig von den Zeitläuften bis heute lebendig erhalten. Die Halloren besuchen regelmäßig die neu gewählten Bundespräsidenten. Die Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Rainer Haseloff (2012), Wolfgang Böhmer (2003), Dr. Reinhard Höppner (1997), Prof. Dr. Werner Münch (1993, Becher Nr. 82), aber auch die halleschen Oberbürgermeister Ingrid Häußler (2006, Becher Nr. 88) und Hans Pflüger (1984) stifteten der Brüderschaft neue Silberbecher. Damit wächst diese über mehr als 300 Jahre gepflegte und ständig mit neuen Werken bereicherte Sammlung immer weiter.