01. Februar 2022
Der Löwe, der eigentlich ein Tiger ist!
Heute am 1. Februar 2022 wird das chinesische Neujahrsfest zelebriert. Mit dem Jahreswechsel beginnt das Jahr des majestätischen Tigers. Inspiriert von diesem höchsten der chinesischen Feste, das auch als Frühlingsfest bekannt ist, begaben wir uns auf die Suche nach einer anmutigen Großkatze. Wir wurden fündig bei einem, passend zum Frühlingsfest, bunt verzierten Porzellanteller der Porzellan-Manufaktur Meissen aus dem 18. Jahrhundert.
Der Teller zeigt ein sogenanntes nachgeahmtes Kakiemon-Dekor. Der Japaner Sakaida Kakiemon (1596‒1666) begründete Anfang des 17. Jahrhunderts einen neuen Stil in der Porzellanmalerei. Er arbeitete mit skizzenhaften Zeichnungen, großzügigen weißen Flächen und vor allem polychromer Farbgebung.
Der Spiegel des Tellers zeigt einen schwarz-gelb gestreiften Tiger, der mit aufgesperrtem Maul um einen abgebrochenen, blauen Bambusstab schleicht. Aus dem Stamm schlagen zwei junge Äste hervor, die mit grünen, blauen und roten Blüten besetzt sind. Dem gegenüber befindet sich ein ebenfalls abgebrochener, violetter Prunusstamm. Er bildet mit seiner künstlerischen Maserung ein direktes Pendant zum Tiger. Aus dem Stamm wachsen drei knorrige, mit Blüten besetzte Äste hervor. Sie sind grün beziehungsweise blau und treiben in roten und orangenen Farbtönen indianische Blüten, die an stilisierte Chrysanthemen erinnern. Auch die Fahne des Tellers ist mit einzelnen blauen und roten Blümchen oder kleinen Blütengruppen dekoriert. Der Teller wird mit einem dünnen, dunkelbraunen Randfaden abgeschlossen.
Ganz Europa war im 18. Jahrhundert nahezu magisch angezogen von der ostasiatischen Kunst und Kultur. Fernöstliche Kunst- und Kunstgewerbe-Objekte lancierten in den gehobenen Schichten zu wahren Verkaufsschlagern. Auch August der Starke (1670‒1733) teilte diese Begeisterung. Er beschloss, japanische Porzellandekore von seiner 1710 gegründeten Königlich-polnischen und kurfürstlich-sächsischen Porzellan-Manufaktur, heute Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen, kopieren zu lassen. Das Kopieren war deutlich günstiger als der Einkauf der Originalware. Außerdem entsprachen die japanischen Gefäße häufig nicht der europäischen Esskultur. Das Service Alter reicher gelber Löwe, das stetig neu aufgelegt und erweitert wurde und zu dem auch der Teller der Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) zählt, entstand 1728 als erstes kopiertes Tafelservice, das allein dem sächsischen Hof vorbehalten war. Die Kopien wurden von Johann Gregorius Höroldt (1696‒1775), der zu der Zeit Leiter der Malerwerkstatt war, entworfen. Neben der Produktion für den Hof, ließ er auch Porzellan mit demselben Motiv, allerdings ohne die Kennzeichnung durch die gekreuzten blauen Schwerter, für den französischen Kunsthändler Rodolphe Lemaire (1711‒1731) bemalen. Dieser verkaufte die Stücke in Paris als japanische Originale. Da Lemaire das Porzellan günstig einkaufte, um es dann als vermeintliches Original am Hof zu viel höheren Preisen wieder zu verkaufen, erzielte er einen hohen Gewinn. Als August der Starke von dem Betrug erfuhr, verwies er Lemaire des Landes. Höroldt hingegen ging straffrei aus. Es wurde angeordnet, sämtliche, bereits für Lemaire produzierten Objekte der königlichen Porzellansammlung, dem Japanischen Palais zuzuführen.
Obwohl der Löwe in Europa nicht heimisch ist, bildet er in der europäischen Heraldik ein begehrtes Motiv. Durch seine Stärke, seine Überlegenheit sowie seine Anmut gilt er als König der Tiere. Wird ein Löwe in Zusammenhang mit einem Wappen gewählt, steht das stellvertretend für Macht, Einfluss und Durchsetzungsvermögen des jeweiligen Herrschers oder der jeweiligen Herrscherin.
Sieben Jahre nach der ersten Produktion des Services Alter reicher gelber Löwe wurde 1735 in Meißen erstmals ein japanischer Dekor kopiert, der tatsächlich einen Löwen zeigt.
Der Entwurf ist dem Dekor mit dem Tiger im Aufbau sehr ähnlich und kann einen gelben oder einen blauen Löwen zeigen. Der Löwe unterscheidet sich vom Tiger am offensichtlichsten durch die Gestaltung des Kopfes und des Schwanzes. Das Löwenmotiv gelber oder blauer Löwe ist im Gegensatz zum Motiv alter reicher gelber Löwe nur wenig produziert worden und eine wahre Rarität.
Neben dem Löwen können aber auch die Pflanzen interpretiert werden. Der alte, knorrige Prunusbaum, aus dem junge Äste treiben, bedeutet, dass nur dort, wo Altes vergeht auch Neues entstehen kann.
Der Teller, der sich im Kunstmuseum Moritzburg (Halle) befindet, gelangte 1911 durch eine Schenkung Richard Paul Riedels (1838‒1916) in das Museum. Neben dem Porzellanstück verfügte er auch über eine Zuwendung von 10.000 Mark für das Museum. Riedel war ein aus Berlin zugezogener hallescher Bürger, der in einer kleinen Fabrik Maschinen für die Zuckerindustrie herstellte. 1881 gründete er dann die erste Hallesche Zuckerraffinerie mit. Der erfolgreiche Fabrikant, der ab 1900 den Ehrentitel Geheimer Kommerzienrat trug, bedachte neben dem Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) zahlreiche weitere kulturelle sowie soziale Einrichtungen.